Kapitel 7. The Story we never got to talk about
Transkript:
Mitte der 1990er Jahre reist Michael beruflich nach Deutschland. Zuvor erkundigt er sich bei seinem Vater nach dem in Hamburg verbliebenen Teil ihrer Familie. Auf die Reise nimmt er auch einige der Fotos mit, die Fritz während seiner Stationierung in Berlin gemacht hatte.
10. Mai 1994
Lieber Michael,
Hier sind die Informationen, um die du gebeten hast: Die beiden Töchter meiner Schwester leben in oder bei Hamburg. [...] Ich glaube, du wirst Hamburg als eine sehr kosmopolitische Stadt empfinden. Sie ist groß (ca. 2 Millionen Einwohner), aber im Gegensatz zu vielen anderen deutschen Städten hat sie nicht allzu viele alte Gebäude, da ein Brand im 19. Jahrhundert die Innenstadt völlig auslöschte. Die vielen Luftangriffe während des Zweiten Weltkriegs richteten enorme Schäden an, aber die Stadt ist wieder aufgebaut, und ich glaube, du wirst sie sehr attraktiv finden. [...] Ich beneide dich um diese Reise. Ich hoffe, dass ich Hamburg noch einmal besuchen kann. Ich war nicht mehr in Berlin, seit ich 1945 dort stationiert war. Das wäre auch ein interessanter Besuch. Ich hoffe, du wirst die Gelegenheit haben, ein paar Sehenswürdigkeiten zu besichtigen. Es würde mich nicht wundern, wenn du, nachdem du ein wenig von Deutschland gesehen hast, mehr sehen willst. [...] In Liebe, [...]
Dein Vater
Für seine Kinder Michael, Mark und Kathy ist der Einsatz von Fritz im Zweiten Weltkrieg lange Zeit nur mit einer alten Uniform und einer Schachtel mit Briefen und Souvenirs im Schrank verbunden. Über den Krieg und die Kindheit des Vaters in Hamburg wird kaum gesprochen. In einem im Dezember 2024 in Wannsee geführten Interview erzählen die Geschwister von ihren Erinnerungen.
Mark: "[...] wir waren uns höchstens bewusst, dass er im Krieg gewesen war, ohne dass wir Einzelheiten dazu wussten. Ich weiß nicht, in welchem Alter, aber Michael und ich teilten uns ein Schlafzimmer, und vom Schrank aus gab es eine improvisierte Tür, die zu einem Dachboden führte, wo Sachen aufbewahrt wurden, und wir schlichen uns dorthin. Ich wusste, dass diese Briefe existierten, seit ich ein kleines Kind war, und zusammen mit den Briefen gab es all diese Souvenirs aus dem Krieg. Ich wusste also, dass es das gab, aber nie von meinem Vater.
Michael: Es war eine Art geheimnisvoller Ort. Wir hatten dieses Schlafzimmer mit der Tür zu einem Schrank, und in dem Schrank gab es eine kleine Tür, die zu diesem Kriechraum führte. Man konnte darin nicht stehen. Wir haben also nie sehr viel Zeit dort verbracht, weil man sich nicht gut darin bewegen konnte. Aber wie gesagt, in dem Alter in dem wir damals waren glaube ich nicht, dass wir diese Materialien hätten verarbeiten können."
Kathy: "Niemand hat jemals den Krieg erwähnt, jedenfalls nicht vor mir. Niemand hat je darüber gesprochen, jüdisch zu sein, obwohl sie es waren und es praktizierten, aber wir haben es einfach nicht bemerkt.“
Mark: "Und es ist wahrscheinlich für den Zweck Ihrer Aufzeichnung erwähnenswert, dass wir - alle drei - katholisch erzogen wurden. Und vielleicht auf eine sehr vage Art und Weise waren wir uns weitgehend nicht bewusst, dass wir einen jüdischen Hintergrund hatten. Mein Vater war völlig unreligiös. Also kam die Frage in der Familie gar nicht erst auf.“
Michael: “Wir haben an keinerlei Ritualen teilgenommen. Unsere Großeltern waren nicht gläubig. Wir besuchten italienische Verwandte an typischen katholischen Feiertagen wie Ostern und Weihnachten. Wir aßen jede Woche mit unseren deutschen Großeltern zu Abend, aber das war nicht mit irgendeinem religiösen Ereignis verbunden, und unser Vater hielt nie religiöse Rituale ab.”
Erst mit dem Tod ihrer Eltern beginnt die Familie sich mit der Geschichte und den Erfahrungen des Vaters tiefgehender auseinander zu setzen.
Mark: "Ich ging hinein und sah sie mir an und fing an über sie nachzudenken. Ich konnte kein Deutsch, erst viel später. Als ich dann aufs College ging, habe ich nie wieder richtig darüber nachgedacht, bis unsere Eltern gestorben sind. Meine Mutter hatte sie aufbewahrt, und wir wussten, dass sie da waren, und erst vor relativ kurzer Zeit haben wir beschlossen, dass wir etwas Systematischeres mit ihnen machen sollten, und beginnen sollten, sie zu organisieren. Und ich glaube, zu diesem Zeitpunkt wurde uns klar, dass es sich um eine sehr interessante Sammlung mit einer bedeutenden Geschichte handelte, die wir bis dahin kaum geschätzt hatten - denn während wir das alles zusammenstellten, erfuhren wir von allen möglichen anderen Dingen, wie z. B. von seinem Dienst im geheimen Abhörprogramm in England. Wovon wir natürlich nie etwas wussten. Und auch andere Episoden, die wir jetzt erst zusammensetzen konnten - nichts davon kam direkt von unserem Vater."
Im Gespräch tritt wiederholt zutage, wie einerseits selbstverständlich und andererseits belastet die familiären Bezüge zu Deutschland bleiben. Auch nach dem Tod des Vaters tun sich für die Geschwister noch viele Fragen auf. Nicht auf alle finden sie Antworten.
Michael: “Wir haben ihre Schwester nur ein paar Mal getroffen, als sie in die Vereinigten Staaten kam. Mein Vater kehrte erst 1972 nach Deutschland zurück. Ich denke, das war ein Teil des verbliebenen Traumas seiner Kriegserlebnisse, seiner Schwester auf Englisch zu schreiben und nicht nach Deutschland zurückzukehren. Aber ich glaube, dass Hede zu diesem Zeitpunkt schon ein- oder zweimal in den USA gewesen war. Als ich mit meiner Arbeit zu reisen begann und nach Deutschland ging, traf ich mich mit meinen Cousinen, Lisa und Hannelore, in Hamburg. Aber das war nur sehr kurz, nur ein oder zwei Tage jedes Mal. Wir haben also den Kontakt zu diesem Teil der Familie verloren.”
Mark: “[...] Es ist wichtig zu verstehe, dass wir unseren Vater als eine besondere Person sehen - die meisten Leute tun das wahrscheinlich -, aber dass es etwas über ihn gibt, und seine Erfahrungen, das ihn von anderen unterscheidet, und das ist sicherlich erfreulich. Ich muss auch sagen, dass ich versucht habe, durch Lesen etwas über die Zeit und den sozialen Kontext zu erfahren. Ich bin Historiker, aber mein Fachgebiet ist ein anderes Jahrhundert und ein anderes Land, also ist vieles davon für mich neu. Und ich versuche, das zu verstehen, aber oft bleibt als Ergebnis von all dem ein Gefühl des Bedauerns, weil das natürlich Gespräche sind, die ich gerne mit meinem Vater geführt hätte. Und ich lerne ständig Neues und möchte wissen, was er darüber dachte, wie er darauf reagieren würde. Aber das ist nicht möglich.”
Michael: “Das Wort, das mir in den Sinn käme, um meine persönliche Einschätzung oder mein Gefühl auszudrücken, ist Bedauern. Die Tatsache, dass es diese Geschichte gab, die wir nie verstanden haben und über die wir nie sprechen konnten. Manchmal denke ich, dass es so ein Effekt des Lebenszyklus ist, wenn Menschen in den Ruhestand gehen und sich anderen Interessen zuwenden oder andere Gespräche in ihren Familien führen, aber ich denke nicht, dass Dad sich wirklich zur Ruhe setzte. Und wir hatten nie längere Gespräche mit ihm über sein Aufwachsen und die frühen Jahre seines Lebens oder über die Kriegserlebnisse. Also, in dieser Hinsicht tut mir das wirklich leid, obwohl ich nicht wüsste, was man dagegen tun könnte.”
Kathy: "Andere Leute haben die Bruchstücke zusammengefügt. Weißt du, so wie Herbert mir über Daddy erzählt hat… Dass eben alles, was ich gelernt habe, von anderen Leuten kam."