
Befreite und Besiegte. Perspektiven auf das Jahr 1945
Mit unserem Jahresthema 2025 werden wir als Gedenk- und Bildungsstätte die ambivalente Zeit des Umbruchs 1945 und seiner Folgen besonders in den Blick nehmen. Wir wollen in unseren Veranstaltungen, Publikationen und Aktivitäten auf die dramatische Zäsur dieser Zeit aufmerksam machen und danach fragen, was Befreiung für wen im Konkreten bedeutet hat.
Es dauerte bis zum 40. Jahrestag des Kriegsendes, bis ein hoher Repräsentant der Bundesrepublik die Tatsache anerkannte, dass der 8. Mai 1945 auch ein Tag der Befreiung gewesen war.
Bundespräsident Richard von Weizsäcker sprach in einer nicht von allen gleichermaßen gefeierten Rede von diesem Tag als einem Tag des Gedenkens, an dem „wir“ von der Unmenschlichkeit und Tyrannei des NS-Regimes befreit worden seien. Wer ist dieses „wir“? Diese Frage stellt sich heute, 80 Jahre nachdem das vom NS-Regime proklamierte „tausendjährige Reich“ mit einer Niederlage endete, mit neuer Dringlichkeit.
Noch vor zwanzig oder dreißig Jahren, 1995 und 2005, schien es für alle ausgemacht zu sein, dass die nach 1945 den Deutschen, zumindest im Westen des Landes, aufgezwungene Demokratisierung geglückt sei. Deutschland war wieder vereint, das Gedenken an den Holocaust war zu einem „negativen Gründungsmythos“ dessen geworden, was der Philosoph Jürgen Habermas im Historikerstreit der 1980er Jahre als „Verfassungspatriotismus“ proklamiert hatte.
2025 erzielen antidemokratische und in Teilen gesichert rechtsextreme Parteien eine ungeahnte Zustimmung. Dem Gedenken an den Holocaust und die deutschen Verbrechen sollen vermeintlich „positive“ Aspekte zur Seite gestellt werden. Nach dem grausamen Angriff der Hamas am 7. Oktober 2023 auf Bewohner*innen Israels und im Schatten des nicht enden wollenden Krieges in Gaza haben Aktivist*innen längst die bundesdeutsche Erinnerungskultur als Störfaktor ausgemacht.
Grund genug, das Kriegsende 1945 in seiner Ambivalenz erneut in den Blick zu nehmen.
Der Sieg der Alliierten bedeutete für Millionen Menschen das Ende des Leidens in Lagern und Gefängnissen und der Todesangst, wenn auch nicht die Befreiung von Trauma und Überlebensschuld.
Für andere bedeutete der 8. Mai 1945 den Verlust des kollektiven Halts, den die nationalsozialistische Volksgemeinschaft versprochen hatte, und der für viele trotz Bomben bis zum Kriegsende intakt blieb. Für diese Millionen von Deutschen war die Befreiung der anderen eine Erfahrung der eigenen Niederlage, die durch beschäftigtes Mittun im „Wiederaufbau“ und den Mythos der „Stunde Null“ verdeckt werden sollte. Die verordnete Demokratie wurde von manchen nur widerwillig akzeptiert. Andere wiederum sahen dies als Chance, aus den Fehlern der Weimarer Republik und ihrer Verfassung zu lernen.
Im Jahr 2025 werden wir als Gedenk- und Bildungsstätte diese ambivalente Zeit des Umbruchs und ihre Folgen besonders in den Blick nehmen. Wir wollen in unseren Veranstaltungen, Publikationen und Aktivitäten auf die dramatische Zäsur dieser Zeit aufmerksam machen und danach fragen, was Befreiung für wen im Konkreten bedeutet hat.
Autorin:

Deborah Hartmann
Direktorin und Leiterin der Abteilung Kommunikation und Öffentlichkeit
(030) 2179986-00