Am 19. Juni 2025 eröffneten unsere Direktorin Deborah Hartmann und unsere wissenschaftliche Mitarbeiterin Judith Alberth die von ihnen kuratierte Sonderausstellung "On the Roof of Himmler's Guesthouse. Die U.S. Army 1945 in Wannsee", in Anwesenheit der Kinder von Fritz Traugott, der in der Ausstellung zentral steht. Wir dokumentieren hier Auszüge aus ihrer Eröffnungsrede.
On the Roof of Himmler's Guesthouse
In einem Brief vom 3. Juli 1945 an seine Frau Lucia beschreibt der US-Soldat Fritz Traugott die Ankunft der ersten US-amerikanischen Einheiten in Berlin. Fritz Traugott ist Teil eines Vorauskommandos und zu seinen Aufgaben gehört es unter anderem, ein Quartier für den Rest seiner Einheit zu finden, die in wenigen Tagen ebenfalls in Berlin ankommen wird. Fritz deutet an, dass sie ein „wunderschönes palastartiges Anwesen gefunden“ haben. Die Rede ist vom ehemaligen SS-Gästehaus, der heutigen Gedenk- und Bildungsstätte am Wannsee.
Bis heute übt dieser Ort eine seltsame Faszination aus. Nach den Erfahrungen des Krieges, auf dem Weg von der Normandie durch halb Europa bis nach Berlin, muss in dieser Umgebung, in dieser Villa, in diesem Garten, an diesem See für die Soldaten der US-Armee eine irritierende Atmosphäre geherrscht haben.

Wie wirkt der Ort heute auf uns und auf unsere Besucher*innen?
Es klingt unglaublich, aber wir bekommen immer wieder Anfragen, die sich auf die besondere Schönheit dieses Ortes beziehen. Zuletzt wollte ein junges Paar hier Hochzeitsfotos machen, weil sie sich so sehr in eine bestimmte Stelle im Garten verliebt hatten, die sie wegen ihrer „außergewöhnlichen Ästhetik und Stimmung als besonders schön empfinden“.
Gerade zu dieser Jahreszeit kann das beeindruckende Ensemble die vielen Schichten der Geschichte dieses Ortes auch leicht verdecken. Darum ist es uns wichtig, durch Ausstellungen und Kunstaktionen mit diesen Eindrücken zu arbeiten, sie durch unsere Interventionen zu durchbrechen und die Geschichte des Ortes und seine Bedeutung sichtbar zu machen. Eine solche Intervention mag auf den einen oder die andere durchaus störend wirken, zum Beispiel die Ende April eröffnete Soundinstallation “Wulf, die Zicklein und der vergessene Garten” der israelischen Künstlerin Yael Reuveny: Joseph Wulf, der Historiker und Überlebende, stört die wunderbare Ruhe am Wannsee, zuerst mit seiner Forderung, aus dem Schullandheim ein Dokumentationszentrum zu machen und dann erneut mit seinen jiddischen Liedern, die er in den 60er Jahren aufnimmt, damit diese nicht vergessen werden.
Viele Besucher*innen betonen aber auch, dass für sie der Kontrast zwischen dem Wissen darüber, was an diesem Ort besprochen wurde, und der Schönheit des Ortes in besonderer Weise den Schrecken der Geschichte der Shoah und die Schwierigkeiten des Verstehens zum Ausdruck bringen.
Fritz Traugott und die anderen US-Soldaten wussten noch nichts von der Wannsee-Konferenz, von der Besprechung, die hier am 20. Januar 1942 stattgefunden hat. Aber sie wussten sehr wohl, welche Leute in diesem Haus ein- und ausgegangen sind. Dass es sich bei dieser Villa um “Himmler’s Guesthouse” handelte, also um ein Gästehaus der SS, deren Führer Heinrich Himmler damals war, mag sie sogar angespornt haben, das Haus in Besitz zu nehmen, die Fahne der Vereinigten Staaten von Amerika zu hissen, die diesen Krieg gemeinsam mit ihren Verbündeten gewonnen hatten.
Was hätten sie aber gedacht und gemacht, wenn sie gewusst hätten, dass an diesem Ort über die Durchführung des institutionalisierten Massenmordes an den europäischen Jüdinnen und Juden gesprochen wurde? Wir wissen es nicht. Wir können es noch nicht einmal erahnen. Was wir aber wissen, ist, dass das Wissen um diesen konkreten Zeitpunkt in der Geschichte, ein Zeitpunkt, der nur rund 90 Minuten umfasste, heute den Blick auf die wechselhafte Geschichte des Hauses in besonderer Weise bestimmt.
Darum setzt die Ausstellung “On the Roof of Himmler’s Guesthouse” etwas fort, was wir bereits mit der vorherigen Ausstellung begonnen haben, die die Besucher*innen beim Spazieren durch den Garten betrachten konnten, nämlich eine Tiefenbohrung in den Schichten dieses Ortes, ausgehend von der Frage: Was bedeutet diese Geschichte, was bedeutet dieser Ort für uns heute?
Dass diese Geschichte umkämpft und unsere Arbeit von vielen Seiten angegriffen wird, hat eine sehr unangenehme Kampagne der vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuften AFD gezeigt, die öffentlich gegen unsere Ausstellung gehetzt und dazu aufgerufen hat, uns unter Druck zu setzen. Aufgestachelt von den sozialen Medien hat uns so auch im April eine Anfrage in unserem Buchungssystem erreicht, die als Kommentar folgendes umfasste: “Ihr dreckigen Lügner! Ihr Schweine gehört abgebrannt! Correctiv-Schweine, ihr korrupten Verbrecher ihr gehört aufgeknüpft!”
Mit einer Anfrage beim Senat und der Bundesregierung hat die AFD versucht, unsere Arbeit in den Dunstkreis von Desinformation und Holocaustrelativierung zu rücken, da wir darüber berichtet haben, wie Menschen Bezüge zwischen der Wannsee-Konferenz und einem Treffen in Potsdam im November 2023 hergestellt haben, auf dem u.a. über Möglichkeiten der massenhaften forcierten Ausweisung von Menschen aus Deutschland gesprochen wurde. Solche Angriffe sollen uns einschüchtern und unter Druck setzen.
Wir stehen weiterhin voll und ganz hinter den Inhalten unserer vorherigen Ausstellung, und wir haben sie gerne abgebaut, um Platz für diese neue, ebenso wichtige Ausstellung über Fritz Traugott und seine am Wannsee stationierte Einheit zu machen. Fritz und seine Einheit kamen 1945, um NS-Verbrecher aufzuspüren und die unvorstellbaren Verbrechen zur Anklage zu bringen. Nur diesen Anstrengungen der Alliierten ist es zu verdanken, dass das heute einzig erhaltene Exemplar des Protokolls der Wannsee-Konferenz gefunden wurde und uns über die besondere Bedeutung dieses Ortes aufgeklärt hat. Den Amerikanern war sehr wohl bewusst, dass es nicht leicht sein würde, mit dieser deutschen Bevölkerung eine funktionierende Demokratie nach amerikanischem Vorbild aufzubauen. Hätte man damals demokratisch abgestimmt, wäre Deutschland sicherlich weiterhin von einem autoritären Führer regiert worden. Meinungsumfragen belegten damals sehr deutlich die demokratiefeindlichen und antisemitischen Einstellungen in der deutschen Nachkriegsbevölkerung.
Es ist daher auch erschreckend zu sehen, wie der heutige US-amerikanische Vizepräsident die Abwehrmechanismen demokratischer Gesellschaften als undemokratisch verunglimpft und dazu rät, menschenfeindliche, antisemitische, nationalistische und rassistische Einstellungen als Bestandteil demokratischer Meinungsbildung nicht nur zuzulassen, sondern ihnen auch noch bereitwillig Raum in Regierungsentscheidungen zuzubilligen. 80 Jahre später wird damit relativiert, wofür Fritz Traugott und andere Angehörige der US-Armee gekämpft haben und was auf Grundlage der Erkenntnisse, die sie im Jahr 1945 über den Naziterror gewannen, in der Bundesrepublik aufgebaut wurde.

Den ersten Kontakt zur Familie Traugott in den USA hatten wir im März 2022, kurz nach dem 80. Jahrestag der sogenannten Wannsee-Konferenz. Uns erreichte eine E-Mail mit dem Foto der über der Villa am Wannsee wehenden US-Flagge und der Frage, ob jemand aus der Gedenkstätte an einem Gespräch über weitere Quellen aus dem Nachlass von Fritz Traugott interessiert sei. Ja, wir waren interessiert. Tatsächlich war nur wenig darüber bekannt, wie die Villa in der unmittelbaren Nachkriegszeit durch die Alliierten genutzt worden war. Es folgten Gespräche über Zoom, in denen wir uns einen ersten Überblick über den Nachlass Fritz Traugotts verschafften. Schnell wurde uns klar, dass wir daraus mehr machen wollten. Gerne wollten wir einen Beitrag zum diesjährigen 80 Jahrestages des Kriegsendes und der Befreiung leisten und die damit verbundenen vielfältigen Aspekte aus einer anderen Perspektive erzählen. Eine Perspektive, die auf den ersten Blick an eben diesem Ort etwas ungewöhnlich erscheint.
Die Einheit Fritz Traugotts bestand zu großen Teilen aus “Ritchie Boys”, eine dem Geheimdienst der US-Armee unterstellte Spezialeinheit. Sie wurden in den 1940er Jahren in Camp Ritchie in Maryland in Gegenspionage und Verhörtechniken geschult. Die “Ritchie Boys” spielen innerhalb der US-Armee und des Geheimdienstes eine zentrale Rolle beim Sammeln von Informationen über das NS-Regime und waren einer der Vorläufer der 1947 gegründeten CIA. So wie Fritz Traugott waren einige von ihnen erst kurz zuvor vor dem NS-Regime geflohen. Ihre Kenntnisse über die deutsche und österreichische Kultur und Gesellschaft sollten beim Einsatz in Europa der US-Armee helfen, den Feind besser zu verstehen.

Als wir die Briefe lasen, die Fritz Traugott im Sommer 1945 aus Deutschland an seine Frau Lucia schrieb, lernten wir ihn als einen frisch verliebten, von Heimweh geplagten (das Heimweh bezog sich auf die USA), jungen Soldaten kennen. Auch seine Kinder stellten ihn uns im Interview als einen liebevollen und humorvollen Vater vor, der darauf bedacht war, seinen Kindern die besten Startbedingungen für ein erfolgreiches Leben zu ermöglichen. Später, im Staatsarchiv Hamburg, trat uns Fritz Traugott in den Akten zur Wiedergutmachung vor allem als Amerikaner entgegen, der seine deutsche Identität weitestgehend abgelegt hatte. Erst in den 70er Jahren besuchte er Deutschland erneut. Nach Berlin kehrte er nicht mehr zurück. In einem späteren Brief aus dem Jahr 1994 lasen wir von seinem Wunsch, noch einmal seine Geburtsstadt Hamburg besuchen zu wollen. Dies war ihm vor seinem Tod 1995 nicht mehr möglich.
Während des Ausstellungsprozesses haben wir uns oft gefragt, ob wir Fritz Traugott überhaupt gerecht werden, zumal er über seine Erfahrungen in Deutschland später nie gesprochen hat. Wir haben uns auch gefragt, ob wir mit unserer Ausstellung der restlichen hier am Wannsee stationierten Einheit gerecht werden können. Wahrscheinlich nicht, und wer weiß, ob er oder andere ehemalige Angehörige der US-Armee unsere Ausstellung gemocht hätten.
Nach unseren Recherchen bleibt die Geschichte, die wir erzählen, lückenhaft. Aber auch wenn wir mit Lücken arbeiten mussten, bleibt die Tatsache, dass Fritz Traugott mit seiner vielschichtigen Identität die unmittelbare Nachkriegszeit im Sommer 1945 hier in der Villa am Wannsee verbrachte, historisch bedeutsam. Wir freuen uns, dass wir die Chance haben, diese Perspektive erzählen und zeigen zu dürfen.

Seit dem ersten Kontakt mit Familie Traugott sind drei Jahre vergangen. Viele Zoom-Meetings mit vier verschiedenen Zeitzonen und ein Besuch im Dezember 2024 halfen, die Ausstellung, wie Sie sie heute sehen können, auf die Beine zu stellen. Der Austausch war immer bereichernd, wir haben nicht nur gemeinsam viel Neues erfahren, sondern auch voneinander gelernt. Einen besonderen Dank möchten wir Michael, Mark und Kathy für ihr Vertrauen aussprechen.
Wie werden die Briefe und Fotografien von Fritz Traugott an diesem Ort wirken? Welchen Eindruck werden seine und die Geschichte seiner Familie hier hinterlassen? Werden sie die friedliche Harmonie des Gartes trüben? Werden sie dem historischen Ort eine andere Perspektive hinzufügen? Lange hat sich die deutsche Gesellschaft schwergetan, andere Stimmen und Perspektiven auf die Geschichte des Nationalsozialismus zuzulassen. Der Historiker und Auschwitzüberlebende Joseph Wulf scheiterte mit seinem Versuch, an diesem Ort ein Dokumentationszentrum zu errichten nicht zuletzt deshalb, weil er damit die zufriedene Ruhe der Nachkriegsgesellschaft störte. Auch heute noch sehnen sich viele in Deutschland eher nach Geschichten, die Versöhnung versprechen, in denen Schmerz und Trauma der Menschlichkeit weichen und die eigene Verstrickung in eine Geschichte von Schuld und Verbrechen verblasst. Zuletzt schien die Überlebende Margot Friedländer für die Deutschen solch ein harmonisches Ende zu versprechen. Aber Margot Friedländer hat nach ihrer Rückkehr nach Berlin nicht nur dazu aufgerufen “Seid Menschen”. Ende der 1990er, damals noch in den USA, hat sie auch berichtet: “Wenn man überlebt hat, leidet man.”
Fritz Traugott, der noch rechtzeitig aus Deutschland fliehen kann und als US-Soldat zurückkehrt, erfährt, was Überleben bedeutet, als er einer Gruppe junger Frauen aus Auschwitz begegnet. Auch davon berichtet er in seinen Briefen, die Teil des Audio Walks in der Ausstellung sind. Welche Zumutungen die deutsche Nachkriegsgesellschaft für die Überlebenden bereit hielt, muss seine Schwester erfahren, als sie mit ihrer Familie um „Wiedergutmachung“ für etwas kämpft, was nicht wieder gut zu machen ist – und was auch niemand in Deutschland als Schuld anerkennen will.
Unsere Ausstellung soll der wechselhaften Geschichte dieses Hauses nicht nur eine weitere Geschichte, eine andere Perspektive hinzufügen, sondern sie soll auch ein wenig die Harmonie dieses Ortes stören, wenn sich das Rauschen der Bäume und des Wassers mit den Stimmen der Schauspieler vermischen, die die Briefe von Fritz Traugott und anderen lesen und ihre Geschichte(n) erzählen.
Autorinnen:

Deborah Hartmann
Direktorin und Leiterin der Abteilung Kommunikation und Öffentlichkeit
(030) 2179986-00

Judith Alberth
Kommunikation und Öffentlichkeit / wissenschaftliche Mitarbeiterin
(030) 2179986-45