"Von der Kunstfreiheit gedeckt?"
Konferenz zu aktuellen Herausforderungen im Umgang mit Antisemitismus in Kunst und Kultur - eine Kooperation der Amadeu Antonio Stiftung, dem American Jewish Committee Berlin, der Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz und dem Zentralrat der Juden in Deutschland
Die Amadeu Antonio Stiftung, das American Jewish Committee Berlin, die Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz und der Zentralrat der Juden in Deutschland laden am Donnerstag, 11.05.2023, zu einer Konferenz, die sich den aktuellen Herausforderungen im Umgang mit Antisemitismus in Kunst und Kultur innerhalb des deutschsprachigen Raumes widmet. Adressat*innen sind interessierte Menschen aus dem Kulturbetrieb – also Künstler*innen sowie Mitarbeiter*innen aus Gedenk- und Bildungsstätten, Museen, Kultureinrichtungen, Institutionen, Vereinen.
Im Zentrum stehen dabei die verschiedenen in der medialen Öffentlichkeit geführten Diskussionen um die »Initiative GG 5.3 Weltoffenheit«, den »Historikerstreit 2.0« und die »documenta fifteen«.
In zwei aufeinander aufbauenden Panels und einem Workshop diskutieren Akteur*innen aus verschiedenen Disziplinen – Kunst und Kultur, Politik, Wissenschaft und Bildung – über die Herausforderungen, vor denen Menschen, die im Kulturbetrieb tätig sind, in den vergangenen Jahren immer wieder standen und stehen, wenn es um das Thema Antisemitismus geht. Abschließend werden die Ergebnisse der Konferenz mit Vertreter*innen aus dem Bereich der Politik diskutiert. Shahrzad Eden Osterer leitet als Moderatorin durch den gesamten Tag.
Den Auftakt bereitet das erste Panel, das sich einleitend dem Thema Nach - oder vor einer Debatte? Antisemitismus und Kultur widmet. In seinem 2021 erschienenen Buch »Und die Juden?« zeichnet der britische Autor David Baddiel nach, dass in den gegenwärtigen antirassistischen und identitätspolitischen Debatten Jüdinnen und Juden im Gegensatz zu anderen Minoritäten kein Gehör finden, da sie als »weiß« und damit als privilegiert gelten. Damit einher geht die Tatsache, dass antisemitische Erfahrungen von Jüdinnen und Juden entweder ignoriert werden oder wie im Fall von israelbezogenem Antisemitismus – der gegenwärtig dominierenden Form des Judenhasses – dieser als legitime Kritik an einem vermeintlich kolonialen Siedlungsprojekt camoufliert und damit verharmlost wird. Daraus folgend wird Antisemitismus nicht mehr als eine distinkte Ideologie und Weltanschauung begriffen, die eben nicht im Begriff des Rassismus aufgeht, sondern als eine Diskriminierungsform unter vielen anderen verstanden.
Das hat reale Auswirkungen auf die Gegenwart und den Alltag von Jüdinnen und Juden sowie auf die Erinnerungskultur und die historische Einordnung der Shoa, die dadurch fälschlicherweise als ein Ereignis von Massenverbrechen unter vielen subsumiert wird und damit ihren präzedenzlosen Charakter verliert. Ausgehend von diesen Beobachtungen soll mit Referent*innen darüber diskutiert werden, was die genauen Ursachen für die skizzierten Entwicklungen sind, welche Auswirkungen sie auf Jüdinnen und Juden, aber auch den Umgang mit der Shoa im Land der Täter*innen hat und welche Gegenmaßnahmen wir entwickeln können und müssen.
Referent*innen: Marina Chernivsky (Kompetenzzentrum für Prävention und Empowerment) und Prof. Dr. Karin Stögner (Universität Passau) und Dr. Steffen Klävers (Jüdisches Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus e.V.).
Moderation: apl. Prof. Dr. Samuel Salzborn (Ansprechpartner des Landes Berlin zu Antisemitismus)
Die 30-minütige Performance des »Forum demokratische Kultur und zeitgenössische Kunst« leitet über zum zweiten Panel und beschäftigt sich aus jüdischer Perspektive mit dem Thema Antisemitismus. Für ihren filmischen Beitrag betrachten Fabian Bechtle und Leon Kahane den Antisemitismus als eine Kulturtechnik die über die Epochen hinweg immer wieder zur Anwendung gekommen ist, um Gesellschaften zu harmonisieren oder von inneren Konflikten zu entlasten. Die Juden als Sündenböcke darzustellen hat folglich einen Zweck, der durch die Mehrheitsgesellschaft als ein positiver Effekt wahrgenommen wird. Dieser Beobachtung folgend gehen Bechtle und Kahane der Frage nach, ob oder wie sich aus dieser Kulturtechnik auch eigene kulturelle Vorstellungen und Weltbilder konstituiert haben. Im Video werden die zentralen und diskursbestimmenden Behauptungen und Projektionen im Kunstfeld auf diese Begriffe zusammengetragen und ihre Verknüpfungen zu antisemitischen Weltbildern deutlich. Besonders am Beispiel der Darstellung und Qualifizierung von vermeintlichem Gutem und Bösem (bzw. Schlechtem) zeigt sich, wie sich die codierte Beschreibung des Jüdischen manifestiert hat. Fabian Bechtle und Leon Kahane sind bildende Künstler und leiten das Forum demokratische Kultur zeitgenössische Kunst.
Das zweite Panel beschäftigt sich anschließend mit den Themen Weltoffenheit und Antisemitismus im deutschen Gegenwartstheater: Mitten in der Pandemie veröffentlichten im Dezember 2020 einige der wichtigsten deutschen Kulturinstitutionen, darunter vor allem Theater und Theaterinstitutionen, das »Plädoyer der Initiative GG 5.3 Weltoffenheit«. Es wurde von einem offenen, von zahlreichen Künstler*innen unterschriebenen Brief begleitet, der in zugespitzter Form forderte, BDS-Positionen einen Raum zu geben, und es dabei unternahm, die Spezifik von Antisemitismus zu verwischen. Ende des Jahres 2022 erschütterte dann der Skandal um Wajdi Mouawads Theaterstück Vögel die Feuilletons.
Öffentlich war bisher kaum Kritik von Personen zu vernehmen, die selbst in Theatern arbeiten oder dem Kulturbetrieb angehören. Die Dringlichkeit, sich mit Antisemitismus im Theater auseinanderzusetzen, liegt auf der Hand. Das Panel wird vom Institut für Neue Soziale Plastik mit dem Ziel kuratiert, die bestehenden Herausforderungen aus Sicht antisemitismuskritischer Theaterpraktiker*innen zu diskutieren.
Referent*innen: Matthias Naumann (Futur II Konjunktiv sowie Neofelis Verlag), Benno Plassmann, Mia Alvizuri Sommerfeld und Tina Turnheim (alle Institut für Neue Soziale Plastik e.V.)
Moderation: Stella Leder (Institut für Neue Soziale Plastik e.V.)
Der dritte Teil hat einen partizipativen Charakter und soll vor allem die Teilnehmer*innen zu Wort kommen lassen. In Workshops werden ausgehend von aktuellen Debatten die Konsequenzen und Herausforderungen für die antisemitismuskritische Praxis diskutiert.
Als Überleitung zu den Workshops in Kleingruppen wird es vorab einen kurzen Input geben, um die Strukturen von Antisemitismus im Kulturbetrieb sowie antisemitische Fallbeispiele aus verschiedenen Kulturbereichen einzuordnen. Die Workshops werden von Akteur*innen der antisemitismuskritischen und historisch-politischen Bildungsarbeit konzipiert. Ziel der Workshops ist es, Akteur*innen aus dem Kulturbetrieb dahingehend zu bestärken, sich auch in den eigenen Communities aktiv gegen Antisemitismus auszusprechen. Als Ergebnis der Workshops entstehen Outputs, die dem Plenum in Kurzpräsentationen vorgestellt werden.
Workshops: Deborah Hartmann, Lucas Frings, Verena Bunkus und Aya Zarfati (alle Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz), Romina Wiegemann, Alexander Vasmer, Beate Klammt und Helena Liederwald (alle Kompetenzzentrum für Prävention und Empowerment)
Es folgt eine Keynote von Dr. Josef Schuster, Zentralrat der Juden in Deutschland.
In einer Abschlussdiskussion wird die Konferenz durch die Tagesmoderation zusammengefasst. Die diskutierten und erarbeiteten Ergebnisse des Tages werden abschließend mit Vertreter*innen aus dem Bereich der Kulturpolitik diskutiert.
Abgeschlossen und gerahmt wird die Konferenz von einer weiteren Performance in Form eines Poetry Slams von Hanna Veiler, um einer weiteren jüdische Stimme den Raum zu geben.
Programm:
09:00 – 10:00 Uhr: Ankunft
10:00 – 10:15 Uhr: Begrüßung durch die Veranstaltenden
10:15 – 12:00 Uhr: Panel I: Nach - oder vor einer Debatte? Antisemitismus und Kultur. Referent*innen: Marina Chernivsky (Kompetenzzentrum für Prävention und Empowerment) und Prof. Dr. Karin Stögner (Universität Passau) und Dr. Steffen Klävers (Jüdisches Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus e.V.). Moderation: apl. Prof. Dr. Samuel Salzborn (Ansprechpartner des Landes Berlin zu Antisemitismus)
12:00 – 13:00 Uhr: Mittagessen
13:00 – 13:30 Uhr: Performance vom »Forum demokratische Kultur und zeitgenössische Kunst«
13:30 – 15:15 Uhr: Panel II: Weltoffenheit und Antisemitismus im deutschen Gegenwartstheater. Referent*innen: Matthias Naumann (Futur II Konjunktiv sowie Neofelis Verlag), Benno Plassmann, Mia Alvizuri Sommerfeld und Tina Turnheim (alle: Institut für Neue Soziale Plastik e.V.). Moderation: Stella Leder (Institut für Neue Soziale Plastik e.V.)
15:15 – 15:45 Uhr: Pause (Kaffee und Kuchen)
15:45 – 17:30 Uhr: Workshop: Konsequenzen und Herausforderungen für die antisemitismuskritische Praxis. Mit: Deborah Hartmann, Lucas Frings, Verena Bunkus und Aya Zarfati (alle: Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz), Romina Wiegemann, Alexander Vasmer, Beate Klammt und Helena Liederwald (alle: Kompetenzzentrum für Prävention und Empowerment)
17:30 – 18:15 Uhr: Abendessen
18:15 – 18:45 Uhr: Workshop: Konsequenzen und Herausforderungen für die antisemitismuskritische Praxis - Vorstellung der Ergebnisse
18:45 – 19:00 Uhr: Keynote von Dr. Josef Schuster (Zentralrat der Juden in Deutschland)
19:00 – 20:00 Uhr: Panel III: Abschlussdiskussion. Mit: Dr. Andreas Görgen Amtschef beim BKM (der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien), Olaf Zimmermann (Deutscher Kulturrat), Katja Lucker (Musicboard Berlin GmbH) und Stella Leder (Institut für Neue Soziale Plastik e.V.)
20:00 – 20:30 Uhr: Poetry Slam von Hanna Veiler (Jüdische Studierendenunion Deutschland)