Wir trauern um Éva Fahidi
In Gedanken sind wir bei ihren Angehörigen und allen, die ihr nahestehen.
Éva Fahidi hat das Haus der Wannsee-Konferenz mehrfach besucht. Diese Besuche werden uns eindrücklich in Erinnerung bleiben. Ihre sanfte und zugleich nachdrückliche Art, ihre Geschichte zu erzählen und sich für Menschen, Menschlichkeit und Menschenrechte einzusetzen, hat uns in ihren Bann gezogen – ebenso wie Berliner Schüler*innen, für die sie sich bei ihren Besuchen Zeit nahm. Wir möchten anlässlich ihres Todes am 11. September 2023 an sie erinnern, indem wir noch einmal auf die Gespräche schauen, die sie bei uns und in unserer Partnerschule führte.
„Ich habe daran gedacht, dass die 15 Teilnehmer der Konferenz, deren Lebensläufe in der Gedenkstätte hängen, nicht mehr da sind. Der Wind der Geschichte hat sie weggeweht. Und ich bin immer noch da!“ Mit diesen selbstbewussten Worten eröffnete Éva Fahidi das Gespräch, das unser damaliger Direktor Dr. Norbert Kampe zum Jahrestag der Wannsee-Konferenz am 20. Januar 2014 mit ihr führte. „Für mich muss ich sagen: Ich fühle mich nicht als Opfer, weil ich ja noch da bin. In dieser Geschichte habe ich gewonnen. Aber daran habe ich oft gedacht: Wie kann ein Täter heute mit seinen Erinnerungen leben? Wie hat er in den letzten 70 Jahren gelebt? Was hat es mit seiner Seele getan?“
Doch nicht nur die Selbstvergewisserung als Überlebende prägte 2014 das Gespräch. Sie gab auch bildhaft und eindringlich Einblick in die Trauer um die ermordeten Angehörigen, es waren 49. Nach dem erzwungenen Umzug ins Ghetto erzählte sie von ihrer kleinen Schwester, „die ihr Leben lang in unserem Garten herumgetollt ist. Und dann ist sie dort auf ihren vier Quadratmetern gesessen und hat uns angeschaut. Sie hat nicht geweint. Sie hat uns nur angeschaut mit ihren vorwurfsvollen Augen und dachte bestimmt: Ihr habt mich nicht genug geliebt, sonst wäre ich nicht hier; warum geschieht das alles mit mir?“
Amerikanische Soldaten, die sie im heutigen Stadtallendorf in Hessen befreiten, warnten sie vor einer Rückkehr nach Ungarn, wo alle Jüdinnen und Juden ermordet worden seien. Resolut aber forderte sie zusammen mit weiteren ungarischen Überlebenden vom Kommandanten ein, in die Heimat zurückkehren zu können („wir drohten, sein Büro anzuzünden“), denn „die Hoffnung blieb dennoch, nach Ungarn zurückzukehren und vielleicht gab es doch noch Familienangehörige. […] Aber von meiner Familie gab es niemanden mehr. Meine Eltern und Geschwister lebten nicht mehr. Es gibt kein Grab für meinen Vater und meine Mutter. Es gibt kein Leben, das lang genug ist, um so etwas zu vergessen.“
Unsere Gespräche mit Éva Fahidi gingen immer auch um Auschwitz. Sie erkannte sich und Bekannte auf einem Bild des sogenannten Auschwitz-Albums wieder, dass die SS 1944 zusammenstellte. „Als ich in Auschwitz-Birkenau war, war alles unerträglich. Zum Beispiel waren wir in den Baracken so eingepfercht, dass man kaum einen Schritt nach vorne, hinten oder zur Seite machen konnte. Und das geht einem so auf die Nerven. Und ich lache dann über Spielfilme, die man über Auschwitz-Birkenau macht. Da sieht man in den Filmen schöne Baracken und weit und breit keine Menschenseele. Und die zwei Schauspieler dort plaudern ungestört miteinander.“
In unserer Partnerschule Schillergymnasium in Berlin-Charlottenburg gab sie 2020 im Gespräch einen Lichtblick mit auf den Weg, als die Schüler*innen sie fragten, woher sie eigentlich in diesem Horror von Auschwitz die Kraft zum Weiterleben nahm: „Wir wollten unsere Menschlichkeit behalten, soweit es uns möglich war. Wir hielten uns fest an etwas aus der Kultur, an einem Lied oder einem Gedicht.“
In einer Mischung aus Resignation und Hoffnung sprach Éva Fahidi in ihrer Rede zur Eröffnung unserer neuen Dauerausstellung im Haus der Wannsee-Konferenz 2020 zum einen davon, dass weltweit der Hass eskaliere. Sie spitzte zu, dass sie in 16 Jahren, in denen sie nun in Deutschland Gespräche als Zeitzeugin führte, nichts erreicht hätte und berichtete von Begegnungen mit Antisemiten. Und dennoch:
„Mir bleibt nichts anderes übrig, als meinen Ideen treu zu bleiben, und mich bis zu meinem letzten Atemzug für Empathie, Verständnis und gute Laune einzusetzen. Ich will mein drittes Buch schreiben, darüber, wie sehr alte Menschen sich das Leben so einrichten können, dass sie zufrieden, und sich in Liebe und Freude mit dem Alter auseinandersetzen können. ‚Nichts dauert ewig. Der schönste Jud wird schäbig.‘ Alle jungen Menschen werden alt, und wenn nicht, dann haben sie großes Pech gehabt, weil sie früh gestorben sind. Also lohnt es sich doch, mit mir zu kommen, für eine Gesellschaft ohne Hass und Angst, denn lustig geht alles leichter.“