Fortbildung: "Wer schreibt Geschichte und warum?"

Im Februar waren Multiplikator*innen aus verschiedenen israelischen Gedenkstätten für eine einwöchige Fortbildung unter dem Motto "Wer schreibt Geschichte und warum? Historikerstreit 2.0, 'konkurrierende' Erinnerungen und der Diskurs über den Holocaust im heutigen Deutschland" bei uns zu Gast. Wir haben sie gebeten, uns hier von ihren Eindrücken zu erzählen.

© GHWK Berlin, Aya Zarfati
Foto: Aya Zarfati, GHWK

 

Teammitglieder der International School for Holocaust Studies, Yad Vashem:

"Das Symposium hat den israelischen Teilnehmer*innen eine ganz einzigartige Lernerfahrung ermöglicht. Die Auseinandersetzung mit einem so brisanten Thema, das in verschiedenen kulturellen Kontexten unterschiedliche Bedeutungen und Nuancen annimmt, schuf sowohl eine Grundlage für unseren Diskurs als auch die Möglichkeit, verschiedene Positionen und Sichtweisen zu reflektieren und zu prüfen. Als Fachleute, die immer wieder direkt oder indirekt mit diesem Themenbereich in Berührung kommen, war die Vielfalt der Positionen, mit denen wir konfrontiert wurden, manchmal auch beunruhigend."

"Das Seminar bot den Teilnehmer*innen viele Perspektiven zu aktuellen und neu aufkommenden Fragen der Erinnerung an den Holocaust im Kontext postkolonialen und multikulturellen Denkens und informierte uns über die vielen verschiedenen Formen des Antisemitismus. Dabei wurde eine Vielzahl von Methoden eingesetzt: Vorträge, Diskussionen, Umfragen, Führungen, Runde Tische und Workshops. Diese Methoden, die den Diskurs in den Vordergrund stellten und einen fundierten und vielschichtigen Ansatz verfolgten, ermöglichten neue und zeitgemäße Formen des Dialogs. Wir griffen Themen auf, die längst ausdiskutiert schienen, und schufen so die Möglichkeit, sie neu zu denken. Von Beginn an wurde ein kreativer Ansatz verfolgt, um uns mit der Vielfalt jüdischer Identitäten im heutigen Deutschland vertraut zu machen. Das erste Treffen fand an einem Ort statt, der genau diese Vielfalt veranschaulichte: einem Kindergarten."

"Als Pädagog*innen, die sich mit der Shoah beschäftigen und die selbst solche Seminare für eine breite Zielgruppe organisieren, wussten wir die Einzigartigkeit dieser Begegnung mit den deutschen Kolleg*innen sehr zu schätzten, die sich selbst, ihre Ziele und Annahmen, die sie ihrer Arbeit zugrunde legen, permanent reflektieren. Auch wir Teilnehmenden mussten das tun, und zwar schon vor unserer Ankunft: Wir sollten ein Plakat entwerfen, das die Ideen der Institution, aus der wir kommen, in Bezug auf die grundlegenden Fragen, die während des Seminars behandelt wurden, darstellte. Für uns, die wir bereits Erfahrung im Unterrichten und Diskutieren dieser Themen hatten, war dies eine einzigartige Gelegenheit, einen internen Dialog über Themen zu führen, die die Grundlage unserer Arbeit bilden – was zu einem willkommenen Brainstorming und einer spannenden Diskussion führte.
Ein weiterer besonderer Aspekt des Seminars war die Teilnahme von Vertreter*innen verschiedener Holocaust-Institute in Israel. Obwohl wir alle in verwandten Bereichen in einem relativ kleinen Land arbeiten, war es für viele von uns das erste Mal, dass wir uns trafen. Die einzigartige Atmosphäre in Berlin ermöglichte einen offenen israelischen Diskurs, der gleichzeitig mit den Perspektiven der Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz in ihrer Einzigartigkeit und herausragenden Professionalität bereichert wurde.
Wir möchten uns an dieser Stelle bei Debbie Hartmann, Aya Zarfati und dem gesamten Team für die großzügige Gastfreundschaft und das gesamte Erlebnis bedanken, dessen intellektuelle und emotionale Wirkung uns sicher noch lange in Erinnerung bleiben wird. Wir freuen uns auf den Gegenbesuch und die weitere Zusammenarbeit."

© GHWK Berlin, Aya Zarfati
Stadtführung mit M.S. Mboro von "Dekoloniale". "Es war bewegend und wichtig zugleich und hat uns eine breitere Perspektive auf die Erinnerungskultur in Deutschland gegeben."
© GHWK Berlin, Aya Zarfati
Lucas Frings und Deborah Hartmann in einem Workshop zum Thema "Wie vermittelt man Wissen über historischen und aktuellen Antisemitismus in der außerschulischen Bildung?"

Yaron Tzur, Pädagogischer Leiter des Museums Haus der Ghettokämpfer:

Vom 12. bis 17. Februar 2023 nahm ich an einem Seminar in der Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz zu dem sehr anspruchsvollen Thema "Wer schreibt Geschichte und warum? Historikerstreit 2.0, 'konkurrierende' Erinnerungen und der Diskurs über den Holocaust im heutigen Deutschland" teil.

Ich war Teil einer Gruppe von Pädagog*innen verschiedener Holocaust-Gedenkstätten aus ganz Israel. Während des Seminars wurden unsere Wahrnehmungen über die Erinnerung an den Holocaust in Deutschland (und anderswo) oft in Frage gestellt. Vom ersten Tag an sprachen wir über jüdisches Leben in Deutschland vor, während und nach der Shoah. Ich glaube, dass dieses Thema für uns alle viele Fragen und Dilemmata aufwirft, was die Möglichkeiten betrifft, eine blühende jüdische Gemeinschaft, Kultur und ein Bildungssystem zu schaffen und zu erhalten. (Den jüdischen Kindergarten als Ausgangspunkt zu nehmen, war daher sowohl effektiv als auch bewegend).

Aya Zarfati und Deborah Hartmann schufen eine Atmosphäre, die einen sehr offenen Dialog förderte, in dem wir Teilnehmer*innen mehr als bereit waren, unsere Gedanken und Gefühle zu teilen, zu debattieren und unsere Meinung offen zu sagen. Meiner Meinung nach (und ich bin sicher, meine israelischen Kolleg*innen würden zustimmen) ist dies keine Selbstverständlichkeit.

Unsere Führung durch die neue historische Dauerausstellung in der Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz war faszinierend. Wir hätten stundenlang bleiben können. Die Methoden der Führung waren innovativ und nutzten die Ausstellung, um zum Dialog anzuregen und offene Fragen über die deutsche Gesellschaft in dieser Zeit zu stellen. Als Teil des Prozesses erhielten wir eine historische Aufgabe, die uns zum Peer-Learning führte. Diese Art des Lernens förderte später eine angeregte Diskussion unter uns Teilnehmenden.

Gegen Ende des Seminars hatten wir eine Stadtführung mit M. S. Mboro von "Dekoloniale". Sie war sowohl bewegend als auch wichtig und gab uns eine breitere Perspektive auf die Erinnerungskultur in Deutschland.

Der letzte Tag des Seminars war dem Thema "Eine Vergangenheit, die nie vergeht: Wie die Shoah unsere Gegenwart weiterhin beeinflusst" gewidmet. Ich denke, dass dieses Thema für uns alle, die wir in Holocaust-Gedenkstätten unterrichten, sehr relevant ist, besonders in der heutigen Zeit.

Im Namen der gesamten Gruppe möchte ich Deborah Hartmann und Aya Zarfati, den Mitarbeiter*innen der Gedenkstätte und allen, die an diesem Seminar teilgenommen und dazu beigetragen haben, meinen Dank aussprechen. Ich möchte hinzufügen, dass dieses Seminar für uns als Pädagog*innen und als Individuen sehr wichtig war. Die Inhalte des Seminars haben unsere Wahrnehmung der Erinnerung an den Holocaust und seiner Bedeutung sowohl aus deutscher als auch aus israelischer Sicht immer wieder in Frage gestellt.