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Postkarte, Deutsches Reich, um 1923

Postkarte „Denkt daran!“

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Mit einem Dolch in der Hand fällt der Mann im Anzug den tapfer kämpfenden Soldaten in den Rücken. So stellt diese Karikatur von 1923 die sogenannte Dolchstoßlegende dar. Die Dolchstoßlegende wurde gleich nach dem Ersten Weltkrieg in der noch jungen Weimarer Republik in Umlauf gebracht, um die Niederlage Deutschlands umzudeuten. Demnach haben die deutschen Truppen 1918 nur kapitulieren müssen, weil sie von jüdisch-revolutionären Kreisen zuhause im Reich verraten worden seien.

Dargestellt sind hier zwei vermeintliche Verräter aus der Politik: der SPD-Politiker Philipp Scheidemann, mit dem Dolch, hatte im November 1918 die Republik ausgerufen und damit das Ende der Monarchie in Deutschland besiegelt. Kurz darauf unterzeichnete der Mann dahinter, Matthias Erzberger von der katholischen Zentrumspartei, die Waffenstillstandsvereinbarung, mit der die deutschen Kampfhandlungen des Ersten Weltkriegs endeten. Rechts sitzen die vermeintlichen „Kriegsgewinnler“ auf prall gefüllten Geldsäcken, zwei Juden. Vor ihnen liegen Zeitungen – ein Hinweis auf die angeblich von den Juden beherrschten Medien.

Für viele Deutsche war diese Umdeutung der Geschichte ein willkommenes Erklärungsmodell, denn die Niederlage im Ersten Weltkrieg empfinden sie noch immer als Demütigung. Hartnäckig hielt sich der Mythos, die deutschen Soldaten seien „im Felde unbesiegt“ und die Schuld an der Kapitulation läge ganz woanders. Auf der Suche nach einem Sündenbock griff man zurück auf alte Feindbilder – vor allem Sozialisten, Katholiken und Juden.

Viele der Teilnehmer der Besprechung, die sich 1942 hier am Wannsee trafen, hatten diese Legende schon in ihrer Jugend verinnerlicht. Mit dem Regime der Nationalsozialisten glaubten sie, die empfundene Demütigung überwinden zu können.