Text vergrößern
Text invertieren
◄  Zurück Weiter  ►
x

Abschiedsbrief S. Ratner, Witebsk (Wizebsk), 6. September 1941

Abschiedsbrief

Video Gebärdensprache

Audio-Text

Als die Weißrussin Sofija Ratner diesen Abschiedsbrief im September 1941 schrieb, hatte die Wehrmacht den Krieg weiter nach Osten getragen. Mit dem Überfall auf die Sowjetunion am 22. Juni begann auch dort das Morden durch deutsche Truppen. Schon seit Jahresbeginn waren die „Aktionen“ genannten Verbrechen durch die deutschen Besatzer gründlich vorbereitet worden. Viele dieser Anweisungen kamen nicht nur einem Freibrief zum eigenmächtigen Misshandeln und Töten gleich. Sie waren zugleich eine Aufforderung an die Tötungskommandos, den Massenmord mit eigenen Entscheidungen und Ideen voranzutreiben. Gemordet wurde fortan keinesfalls nur auf zentralen Befehl hin, sondern vielfach auf Basis lokaler Einzelentscheidungen. Die Männer wurden nicht gezwungen zu schießen. Es fanden sich genug, die bereitwillig mitmachten. Die Hemmschwelle zur Tötung von Zivilisten war hierbei oftmals erstaunlich gering.

Durch die zunehmende Verrohung der Männer liefen die Erschießungen oft nicht im Sinne der Verantwortlichen; vielfach kam es dabei zu Alkoholexzessen und sexuellen Übergriffen. Um den eigenen Männern das Morden zu erleichtern, wurde das Töten durch Gas eingeführt. Die Methode war bereits im Zusammenhang mit der sogenannten „Aktion T4“ angewendet worden, einem Programm zur Tötung von Menschen, die als Kranke und Behinderte angesehen wurden. Zunächst wurden an verschiedenen Orten der besetzten Gebiete entsprechend umgebaute LKWs benutzt, um darin eingesperrte Gefangene durch Kohlenmonoxid oder Motorabgase zu ermorden. Ab Dezember 1941 kamen diese Gaswagen in einem neu errichteten Vernichtungslager im polnischen Dorf Chelmno zum Einsatz. Im Konzentrationslager Auschwitz wurde mit Blausäuregas, einem Schädlingsbekämpfungsmittel, experimentiert, um Menschen zu töten.