Verfolgen
Neben historischer Aufklärung und der Erinnerung an die Opfer ist die Strafverfolgung der Verbrechen der Deutschen und weiterer Tatbeteiligter eine der Hauptmotivationen für die frühe Beschäftigung mit dem Holocaust.
Die erste Generation der Forscher will in Ansätzen Gerechtigkeit herstellen und die Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen: Sie sollen überführt und vor Gericht gestellt werden. Überlebende sammeln deshalb Aussagen von Zeuginnen und Zeugen, aber auch Dokumente der an Morden und Deportationen beteiligten Behörden. Zum Teil dokumentieren sie das historische Geschehen direkt an den Tatorten, den Vernichtungslagern und anderen Mordstätten. Auf diese Weise tragen sie dazu bei, gerichtliche Prozesse vorzubereiten.
Zugleich fördert die Erforschung des Holocaust einen Grundsatz, auf den sich alle Überlebenden einigen können: Eine derartige Katastrophe darf sich nicht wiederholen. Deshalb muss das Völkerrecht weiterentwickelt werden, um die Menschen künftig vor Staaten zu schützen, die die eigene oder eine fremde Bevölkerung verfolgen.
Um die enormen Verbrechen der Deutschen überhaupt erfassen zu können, bedarf es neuer juristischer Grundlagen: Begriffe wie Völkermord, Genozid oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit existierten bei Kriegsende noch nicht oder erforderten eine präzisere Interpretation. Zudem sollen neue Institutionen entstehen, die Völkermorde verhindern oder zumindest strafrechtlich verfolgen können. Auch diese Aufgaben sind den Überlebenden ein großes Anliegen.
Die frühe Forschung zum Holocaust trägt zu Veränderungen im Völkerrecht und zur Gründung internationaler Gerichtshöfe bei.
Internationaler Militärgerichtshof Nürnberg
Die vier Siegermächte des Zweiten Weltkriegs gründen gemeinsam den Internationalen Militärgerichtshof (IMG, IMT). Das Tribunal tagt in Nürnberg vom 20. November 1945 bis zum 1. Oktober 1946. Der Holocaust steht dabei nicht im Zentrum, sondern wird als eines von vielen Verbrechen verhandelt. Dennoch prägen der IMG und die Folgeprozesse vor dem US-Militärgerichtshof die Begriffe des Genozids und der Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
Genozidkonvention 1948
Als Reaktion auf die Verbrechen der Nationalsozialisten verabschieden die Vereinten Nationen (UN) 1948 zusammen mit der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte die Genozidkonvention. Genozid ist damit völkerrechtlich geächtet. Eine Handlung, die in der „Absicht begangen wird, eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören“, ist fortan weltweit straf- und verfolgbar: „Personen, die Völkermord […] begehen, sind zu bestrafen, gleichviel ob sie regierende Personen, öffentliche Beamte oder private Einzelpersonen sind.“ Damit greift das Völkerrecht in nationales Recht ein – damals ein Novum.
Internationaler Gerichtshof und Internationaler Strafgerichtshof
Seit 1945 existiert in Den Haag der Internationale Gerichtshof, der für die Durchführung von Prozessen gegen Staaten zuständig ist, die gegen Völkerrecht verstoßen. Er ging aus dem Ständigen Internationalen Gerichtshof hervor, der vom Völkerbund gegründet worden war. Anklagen gegen Einzelpersonen sind erst seit 2002 vor dem Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) möglich. Beide Gerichtshöfe verfolgen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Genozide. Zwar erkennen noch nicht alle UN-Mitgliedstaaten den IStGH an – z. B. haben die USA und Russland das Statut nicht ratifiziert –, dennoch sind beide Gerichtshöfe Meilensteine im Schutz von Minderheiten und auch als Reaktion auf den Holocaust zu verstehen.
Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten
1950 verabschiedete der Europarat die Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten. Inzwischen in 47 Mitgliedsstaaten des Europarates gültig, ist sie ein entscheidender Schritt für die Anerkennung überstaatlicher, individueller Rechte von Menschen. Grundrechte sind von allen Personen vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte einklagbar.