Der Bericht von Oswald Winter

Nachweis: Dokumentations- und Kulturzentrum deutscher    Sinti und Roma, Heidelberg.
Oswald Winter in Wehrmachtsuniform, undatiert.

“1939 kam ich zum Reichsarbeitsdienst und von dort 1940 zur Deutschen Wehrmacht zum Infanterieregiment 190 unter General Paulus bei der 6. Armee. Ich erhielt bis 1942 als Tapferkeitsauszeichnung das 'Sturmabzeichen in Silber', das 'Eiserne Kreuz', die 'Ehrenmedaille' für die Winterschlacht und das 'Verwundetenabzeichen'. Ich erhielt einen Streif- und Lungenschuss und bekam deshalb 1942 Genesungsurlaub.


Als ich im Urlaub nach Breslau nach Hause kam, sagten mir Nachbarn, meine Mutter und Schwestern seien von der Gestapo weggebracht worden. Auch mein zwölfjähriger Bruder und die gleichaltrige Tochter meiner älteren Schwester waren nicht mehr da. Zurück beim Stabsarzt erzählte ich, was passierte.


Standortkommandant, Oberarzt und Offiziere schrieben ein Gesuch an Reichsmarschall Göring. Mein Kompaniechef schrieb deshalb an Heinrich Himmler, er könne nicht glauben, dass ich 'Zigeuner' sei, und er erwirkte für mich im Reichssicherheitshauptamt in Berlin einen Termin. Dort wurde ich von Kaltenbrunner empfangen. Ich trug ihm vor, dass ein Bruder bereits im Fronteinsatz in Russland gefallen war und dass meine beiden anderen Brüder, der eine seit 1937 bei der Flak und der andere als Panzerfahrer, auch bei der Wehrmacht seien; ich wüsste auch nicht, wohin meine Mutter und Geschwister gebracht worden seien. In meinem jugendlichen Leichtsinn glaubte ich an Ehre, und dass in Berlin meine Tapferkeit im Krieg Anerkennung finden würde.



Ich fange an zu weinen, wenn ich daran denke. Denn in Wirklichkeit, so mache ich mir heute jedenfalls die Vorwürfe, hatte ich meine beiden Brüder bei der Wehrmacht verraten und für meine Mutter und Geschwister nichts mehr bewirken können. Meine älteste Schwester wurde in Auschwitz ermordet. Meine Mutter, die mit meiner zweitältesten Schwester über Ravensbrück nach Auschwitz kam, überlebte das Konzentrationslager ebenfalls nicht. Mein kleiner Bruder und die Tochter der zweitältesten Schwester wurden 1943 in Passau im Alter von 13 und 12 Jahren von Ärzten zwangssterilisiert. Mein einer Bruder kam direkt von der Fliegerabwehr am Münchener Hauptbahnhof Anfang 1943 weg nach Auschwitz und wurde von dort im August 1944 nach der Auflösung des 'Zigeunerlagers' in Birkenau vor Berlin gegen russische Truppen in einem Himmelfahrtskommando eingesetzt, das er nicht überlebte.


Der andere Bruder wurde direkt im Anschluss an meinen Termin bei Kaltenbrunner als Panzerfahrer aus der Wehrmacht entlassen. Als ich vom Reichssicherheitshauptamt aus, wo mir Kaltenbrunner noch sagte, das wäre alles ein Irrtum seines Amtes und es würde für die ganze Familie geregelt, wieder im Lazarett ankam, sagte mir der Oberarzt, zwei Gestapobeamten, die mich gerade abholen wollten, habe er gesagt, ich sei noch zu krank. Mit dem Wehrentlassungsschein flüchtete ich sofort und versteckte mich in Polen und der Tschechei. Mein Bruder, der danach heimkam und davon erfuhr, flüchtete Ende 1942 ebenfalls in den Untergrund und überlebte.


Ich konnte mich bei einer Frau in Polen, die ich nach 1945 heiratete, verstecken. Da auf meinem Wehrentlassungsschein die 'Rassenzugehörigkeit' neben dem Gesetzesparagrafen, mit dem wir Sinti und Juden ab 1942 ausgeschlossen wurden, nicht ausdrücklich, dafür aber die Verwundung erwähnt war, konnte ich bei Polizei und SS immer als 'Zigeuner' unerkannt entkommen. So war es mir sogar möglich, einige Zeit bei den Skoda-Werken zu arbeiten, bis wir am 8. Mai 1945 von den Russen befreit wurden.”

Zitiert nach: Romani Rose (Hg.), "Den Rauch hatten wir täglich vor Augen" - Der nationalsozialistische Völkermord an den Sinti und Roma. Katalog zur ständigen Ausstellung im Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma, Heidelberg, Wunderhorn, 1999, S. 108f.