September 1941 – Beginn der Kennzeichnung der jüdischen Bevölkerung im Deutschen Reich

Am 19. September 1941 trat im Deutschen Reich die von Reinhard Heydrich unterzeichnete „Polizeiverordnung über die Kennzeichnung der Juden“ in Kraft – auf den Tag sechs Jahre nachdem mit den Nürnberger Gesetzen eine Trennung der Bevölkerung in jüdisch und nicht-jüdisch eingeführt worden war.

Der gelbe Stern, September 1941 (Foto: GHWK Berlin)
Stoffbahn mit gelben "Judensternen", nach September 1941 (Foto: GHWK Berlin)

Schrittweise war jüdisches Leben in Deutschland immer mehr durch Diskriminierung, Entrechtung und Verfolgung geprägt worden. Das bereits am 7. April 1933 verabschiedete Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums regelte die Entlassung „nicht-arischer“ Beamt*innen.  Die Nürnberger Gesetze legten den Begriff „jüdisch“ juristisch fest und schufen so die Grundlage für die weitere Verfolgung. Die bürokratisch organisierte Ausschaltung von Jüdinnen und Juden aus dem Wirtschaftsleben beraubte sie ihrer Lebensgrundlagen. Tausende Gesetze und Verordnungen machten das Leben für Jüdinnen und Juden in Deutschland zunehmend unmöglich, so dass etwa zwei Drittel bis 1941 das Land verließen. Die staatlich organisierten und durchgeführten antisemitischen Maßnahmen waren von Anfang an flankiert von offener Gewalt. Angriffe auf Jüdinnen und Juden passierten in aller Öffentlichkeit und fanden die Zustimmung großer Teile der deutschen Gesellschaft.  Ihren vorläufigen Höhepunkt erreichte die staatlich organisierte und inszenierte Gewalt mit dem Novemberpogrom 1938, in dessen Verlauf ca. 800 Jüdinnen und Juden ermordet und bis zu 30.000 jüdische Männer in Konzentrationslager verschleppt wurden. Das Pogrom demonstrierte auch der internationalen Öffentlichkeit, dass das nationalsozialistische Regime vor offener Gewalt nicht zurückschreckte. Die insgesamt verhaltenen Reaktionen wurden vom Regime als Ermutigung empfunden.

Bereits mit dem sogenannten Anschluss Österreichs und der „Zerschlagung“ der Tschechoslowakei waren Jüdinnen und Juden außerhalb Deutschlands zu Opfern deutscher Gewaltpolitik geworden. Der mit dem Angriff auf Polen im September 1939 beginnende Zweite Weltkrieg brachte nun große Teile Europas und deren jüdische Bevölkerung unter deutsche Herrschaft. Ab Oktober 1939 mussten Jüdinnen und Juden im besetzten Polen eine Kennzeichnung tragen. Hunderttausende polnische Jüdinnen und Juden wurden ab 1940 gezwungen, in Ghettos zu leben, in denen furchtbare Zustände herrschten. Willkürliche Morde waren an der Tagesordnung und bewusste Unterernährung verursachte ein Massensterben durch Hunger und Krankheiten.

Mit der am 19. September 1941 in Kraft getretenen Polizeiverordnung wurde auch im Deutschen Reich eine „Kennzeichnungspflicht“ eingeführt, die Jüdinnen und Juden ab dem sechsten Lebensjahr verpflichtete, in der Öffentlichkeit einen gelben Stern mit der Aufschrift „Jude“ zu tragen. Diese Kennzeichnung war also keineswegs der Beginn der antisemitischen Maßnahmen. Wir begegnen in unserer Bildungsarbeit häufig der Annahme, dass die Kennzeichnung eine frühe und vergleichsweise geringfügige Form der Diskriminierung gewesen wäre. Die öffentliche Kenntlichmachung mit einem gelben Stern bedeutete für die Betroffenen eine besonders perfide Art der Demütigung. Gleichzeitig war sie der Auftakt zu den ab Oktober 1941 beginnenden Deportationen aus dem Deutschen Reich in die Ghettos und Vernichtungslager. Die Kennzeichnung der jüdischen Bevölkerung steht also in einem direkten Zusammenhang mit ihrer Ermordung.

Shoa-Bagatellisierungen: Auf Postern werden Corona-Maßnahmen mit der antisemitischen Politik des Nationalsozialismus verglichen, 6. Mai 2020, Berlin-Friedrichshain (Foto: RIAS Berlin)
Shoa-Bagatellisierungen: Auf Postern werden Corona-Maßnahmen mit der antisemitischen Politik des Nationalsozialismus verglichen, 6. Mai 2020, Berlin-Friedrichshain (Foto: RIAS Berlin)

In den gesellschaftlichen Debatten um den richtigen Umgang mit der Covid-19-Pandemie, die momentan in Deutschland geführt werden, wird erbittert um staatliche Maßnahmen und die zeitweilige Einschränkung von Freiheitsrechten gestritten. Teile der Kritiker*innen dieser Maßnahmen vergleichen sie mit der Verfolgung der jüdischen Bevölkerung im Nationalsozialismus. Sie sehen sich selber als entrechtet und staatlicher Diskriminierung und Verfolgung ausgesetzt. Auf Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen tragen Einzelne selbstgemachte gelbe Sterne mit der Aufschrift „Impfgegner“. Auf diesen Demonstrationen und in Äußerungen im Umfeld werden „Juden“ verantwortlich für die Pandemie oder die staatlichen Gegenmaßnahmen gemacht. Antisemitische und sonstige Verschwörungserzählungen sind elementare Teile des „Anti-Corona“-Protestes.

Rechtsoffene "Hygienedemo", Berlin-Alexanderplatz, 9. Mai 2020 (Foto: RechercheNetzwerk Berlin)
Rechtsoffene "Hygienedemo", Berlin-Alexanderplatz, 9. Mai 2020 (Foto: RechercheNetzwerk Berlin)

Diese Selbststilisierung als Opfer staatlicher Verfolgung setzt die Bedingungen einer totalen Diktatur, deren Mittel Zwang, Gewalt, Krieg und Massenmord sind, mit den Bedingungen des demokratischen Rechtsstaates gleich, in dem widersprechende Meinungen, das Demonstrieren für eine andere Politik und sogar das Infrage stellen eben der rechtsstaatlichen Verfasstheit der Gesellschaft möglich sind.

Diesen Zusammenhang gilt es zu bedenken, wenn in aktuellen Debatten der „Judenstern“ verwendet wird, um auf vermeintliche staatliche Diskriminierung hinzuweisen. Die Kennzeichnung mit dem gelben Stern war nicht eine beliebige diskriminierende Maßnahme. Überall im von Deutschland beherrschten Europa markierte sie den Übergang von der Diskriminierung zur Mordpolitik. Schon deshalb ist die Aneignung als politisches Symbol geschmacklos und abzulehnen.