Chotzen. Bilder nach der Erinnerung

Am 28. September 2022 eröffneten wir in und mit der Villa Oppenheim (Museum Charlottenburg-Wilmersdorf) unsere Ausstellung zur Familie Chotzen. Die jüdische Familie war im Nationalsozialismus verfolgt, viele Familienmitglieder ermordet worden. Neben der Familiengeschichte steht die Kunst der Nachfahrin Inbar Chotzen im Mittelpunkt der Ausstellung. Unsere Kuratorin Dr. Ruth Preusse begrüßte in ihrer Eröffnung Inbar Chotzen, die mit ihrer Familie aus Israel angereist war.

© Inbar Chotzen
Brandenburger Tor, Berliner Leben, Der Abschied, 2019, handgemalt und digital bearbeitet, gedruckt auf Fine-Art-Papier

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Kolleginnen und Kollegen, Freundinnen und Freunde,
und vor allem: liebe Inbar,

wir haben heute Abend schon einiges über die Familie Chotzen gehört. Ich möchte für die Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz noch kurz über die Bedeutung sprechen, die der von uns verwahrte Nachlass von Eppi Chotzen für unser Haus hat.

Das Protokoll der sogenannten Wannsee-Konferenz vom 20. Januar 1942, bei der sich auf Einladung von Reinhard Heydrich 15 Männer in einer Villa am Wannsee trafen, um über die arbeitsteilige Organisation des Mordes an den europäischen Jüdinnen und Juden zu sprechen, ist ein verstörendes Beweisstück für Antisemitismus, Rassismus und verbrecherische, unmenschliche Bürokratie. Auf vier der 15 Seiten geht es um die genaue Definition des Personenkreises, der deportiert und ermordet werden soll. Grundlage dafür sollten die Nürnberger Gesetze sein, auf deren Einhaltung der Konferenz-Teilnehmer aus dem Innenministerium, Wilhelm Stuckart, der 1935 an den Gesetzen mitgeschrieben hatte, besonderen Wert legte. So kann man heute bei uns in der Ausstellung lesen, wie Heydrich die Überlebenschancen von „Mischlingen 1. und 2. Grades“ sowie von Eheleuten aus „Ehen zwischen Volljuden und Deutschblütigen“ mit und ohne Kinder, Ehen zwischen „Mischlingen 1. Grades und Deutschblütigen“ und so weiter „theoretisch erörterte“. Glück hat in dieser Logik, wer sterilisiert oder in ein „Altersghetto“ überführt wird, beispielsweise Kriegsteilnehmer aus dem 1. Weltkrieg. Der einzige im Protokoll konkret genannte Zielort von Deportationen ist das „Altersghetto“ Theresienstadt.

Wir sehen also: Das gewaltsame Ende der Familie Chotzen, einer „Mischehe“ mit „Mischlingskindern 1. Grades“, mit einem Vater, der 1935 noch eine Auszeichnung für seine Verdienste im 1. Weltkrieg erhalten hat, wurde auf einer Staatssekretärs-Konferenz theoretisch verhandelt und kurz darauf grausame Wirklichkeit. Oder umgekehrt: Mit der Familiengeschichte der Chotzens bekommt ein wichtiger Teil des Wannsee-Konferenzprotokolls ein Gesicht.

Tatsächlich begleitet die Geschichte dieser Familie die Gedenk- und Bildungsstätte seit ihrer Gründung vor 30 Jahren: Eppi Chotzen war mit Gerhard Schoenberner, dem ersten Direktor unserer Villa, sehr gut bekannt, vielleicht sogar befreundet. Als er 1992 verstarb, vermachte Eppi dem gerade erst eröffneten Haus testamentarisch den gesammelten schriftlichen Nachlass. Die Übergabe dieser Sammlung gerade an diese Einrichtung mag im ersten Moment irritieren, da die Villa am Wannsee doch vor allem für bürokratische Täterschaft stand und steht. Aber Schoenberner war eben auch Autor des internationalen Bestsellers „Der gelbe Stern“ und bekannt dafür, dass er in seiner Aufklärungsarbeit über die Verbrechen der Nazis die Darstellung der Opfer- über die der Täterseite stellte.

1996 übernahm Norbert Kampe die Leitung des Hauses der Wannsee-Konferenz und übertrug die Erforschung und Erschließung des Chotzen-Nachlasses der Historikerin Barbara Schieb, der ich, genauso wie alle anderen, die sich seither mit der Familie beschäftigt haben, für ihre grundlegende Arbeit zu großem Dank verpflichtet bin. Im Jahr 2000 erschien ihr Buch „Nachricht von Chotzen“, im Jahr darauf wurde im Haus der Wannsee-Konferenz die erste Sonderausstellung zur Familie Chotzen gezeigt.

In unserer letzten Dauerausstellung, die von 2006 bis 2019 gezeigt wurde, gehörten die Chotzens zu den fünf Familien, deren Geschichte das gesamte Ausstellungsnarrativ durchzogen hat, um an diesem Ort der Täter die Perspektive der Opfer zu dokumentieren. Während der Corona-Pandemie hat meine Kollegin Svea Hammerle im Auftrag der Bundeszentrale für politische Bildung einen Workshop zur Geschichte der Familie entwickelt, auch auf ihre Arbeit konnte ich bei der kurzfristigen Erstellung der historischen Ausstellung hier zurückgreifen – vielen Dank dafür! Dank auch an unsere heutige Direktorin Deborah Hartmann und an Heike Hartmann von der Villa Oppenheim dafür, dass sie den schon länger gehegten Plan, eine Ausstellung von Inbars Werken in Berlin zu organisieren, in die Realität umgesetzt haben.

Portrait Inbar Chotzen, 2022
© Inbar Chotzen
Portrait Inbar Chotzen, 2022
Lisa am Ufer, Serie „Verstrickung“, 2021, Öl auf Leinwand
© Inbar Chotzen
Lisa am Ufer, Serie „Verstrickung“, 2021, Öl auf Leinwand
„Liebe Mutti!“, Serie „Mutter Elsa“, 2019 Öl und Teer auf Leinwand
© Inbar Chotzen
„Liebe Mutti!“, Serie „Mutter Elsa“, 2019 Öl und Teer auf Leinwand

Alle in Wannsee – und viele weitere Berlinerinnen und Berliner – kennen also die Geschichte der Familie Chotzen, haben anhand der Fotografien die vier Söhne aufwachsen sehen, wie sie Sport treiben, musizieren und ihre Leben genießen. Ausgrenzung und Gewalt werden auf den Bildern nicht gezeigt, sogar auf den Fotos von der Zwangsarbeit bei der Berliner Stadtreinigung sehen wir lächelnde Gesichter von starken Persönlichkeiten. Manche Bildunterschriften in den Fotoalben aber, sowie natürlich die Abschiedsbriefe von vor der Deportation und die schriftlichen Erinnerungen von Eppi Chotzen, aufgezeichnet in den 1980er Jahren nach dem Tod der Mutter, benennen das große Leid, das über diese Familie durch die antisemitische Rassenpolitik gekommen ist.

Als ich 2015 als wissenschaftliche Mitarbeiterin in die Gedenkstätte kam, wurde mir gleich in den ersten Tagen der Einarbeitung von unserer Bibliotheksleiterin Monika Sommerer von den wertvollsten Archivalien des Hauses berichtet: den 368 Postkarten aus dem Ghetto Theresienstadt, die die dorthin verschleppten Söhne Bubi und Ulli und ihre Frauen an die Mutter nach Berlin-Wilmersdorf geschickt hatten. Diese Postkarten, ebenso wie andere ihr verbliebene Zeugnisse ihrer ermordeten Lieben, verwahrte Elsa Chotzen über Jahrzehnte. Sie werden hier in einer Installation gezeigt, für deren Zustandekommen Heike Hartmann und ihre Kolleginnen zu danken ist.

Die Geschichte der Chotzens hat uns alle bei jeder Wiederbegegnung berührt. Aber sie schien zu Ende, auserzählt – anders als bei den vielen anderen Ermordeten, von denen nichts geblieben ist, gibt es für diese Berliner Familie seit Jahren ein Gedenken. Es bleibt in diese Richtung nichts mehr zu tun.

Aber seit Inbar vor einigen Jahren in unser Leben trat, hat sich diese Erzählung verändert. Jetzt gehört zur Einarbeitung neuer Kolleg*innen nicht mehr nur der Hinweis auf den bedeutenden Nachlass, den das Haus verwahrt, sondern immer auch die Frage: „Und hast du schon von Inbar gehört?“

Die Begegnung mit dir, liebe Inbar, und mit deinen Bildern ist als wäre ein Faden wieder aufgenommen worden – und das ist für uns alle eine große Bereicherung! Vielen Dank!

“Ich wollte die Familienmitglieder wirklich kennen lernen. Während ich malte, wurden sie mir so sehr lieb. Vertraut, voller Leben, echte Menschen. Ich malte sie voller Selbstsicherheit, sportlich und gesund, in der Natur, im Sonnenlicht. So fern wie möglich von der Vorstellung verfolgter Juden, wie man sie in den Bildern des Grauens der Holocaust-Opfer zu sehen gewohnt war.”

Inbar Chotzen