Fritz Degginger

Dies ist die Fortsetzung des vorletzten Beitrags, in welchem die Rekonstruktion der Familiengeschichte der Deggingers angestrebt wurde. Zum damaligen Zeitpunkt war es dem Haus nur möglich, die Rekonstruktion auf Grundlage der Informationen zu stützen, welche uns die Enkeltöchter der Deggingers schriftlich überlieferten. Dank der Hilfe des Leiters der Berliner Entschädigungsbehörde ist es uns in der Zwischenzeit gelungen, weitere Dokumente einzusehen, welche uns Details zu Fritz Deggingers Leben und Situation im damaligen Deutschen Reich bieten. 

© Digitalisat GHWK Berlin
Postkarte, Foto von M. Krajewsky, Berlin ca. 1933

Der 1884 in Regensburg geborene Kaufmann bereiste als Handelsvertreter für Textilwaren im gehobenen Segment ganz Europa. In Mailand vom Ausbruch des Ersten Weltkrieges überrascht, reiste er über die Schweiz zurück nach Deutschland und wurde als Soldat in Serbien schwer am Kopf verletzt. Nach dem Weltkrieg arbeitete Degginger vor allem in der Damenkleidungsbranche und machte sich 1932 zusammen mit seiner Frau Anne mit einem Geschäft am Kurfürstendamm 220 selbstständig - einer Topadresse vis á vis der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche1.

Es war wohl ein Zufall, dass der Fotograf Hans Schaller das Geschäft am Tag der Boykott genannten Blockade als jüdisch betrachteter Unternehmen, Arztpraxen und Anwaltskanzleien fotografierte. Sein Bild, das wir in der neuen Dauerausstellung präsentieren, zeigt eine Dame, die von einem freundlich lachenden SA-Posten zurückgewiesen wird.2 Mehr als zwanzig Jahre später erinnerte sich Fritz Degginger, dass „3 Hitlerleute in Uniform“ ihn aufgefordert hatten, sein Geschäft zu schließen. Als er dies – nach Rücksprache mit der Polizei – ablehnte, kehrten die Männer zurück und bedrohten ihn „mit den Worten, dass sie mich mit dem Knüppel auf den Kopf schlagen würden, dass mein Gehirn an die Decke spritzt“.3 Auch wenn Degginger die Geschehnisse eher vage auf die Zeit nach der Machtübernahme Hitlers datiert, ist davon auszugehen, dass er sich direkt auf den 1. April 1933 bezog. Wahrscheinlich wurde das Foto nach der Rückkehr der SA-Männer aufgenommen. Deutlich zu sehen ist, dass die Gardinen der Eingangstür zugezogen waren und das Geschäft mithin geschlossen war. Unklar ist, ob einer der Täter dann vielleicht für das Foto auch den freundlichen Posten mimte.

Weil sich „die Verhälntnisse gegen die Juden immer mehr zuspitzten“ beschlossen Fritz und seine Frau Anne, sich auf exklusive Damenwäsche zu spezialisieren und zogen einige Häuser weiter, an den Kurfürstendamm 224, Ecke Meineckestraße, die sich in dieser Zeit zu einer zentralen Adresse für Institutionen der Auswanderung von Jüdinnen und Juden entwickelte. Offenbar entwickelte sich das Geschäft sehr positiv. Am 10. November 1938 wurde das Geschäft jedoch vollständig demoliert und viele Waren gestohlen. Fritz Degginger und sein Sohn Roy konnten mithilfe des schwedischen Konsulats, dem das Haus gehörte, den gewaltsamen Ausschreitungen entfliehen.4 Wie die anderen geschädigten Geschäftsinhaber musste Degginger für die Reparatur des Ladengeschäfts selbst aufkommen. Die Glaserei Retzlaff stellte ihm für die Auswechselung der Glasscheiben am 19. November 1938 485 Reichsmark in Rechnung. Bekanntlich durften die jüdischen Einzelhändler nach dem Pogrom ihre Geschäfte nicht wiedereröffnen. Ohne Zutuns der Deggingers wurden die verbliebenen Warenbestände „verschleudert“ und das Ladengeschäft anderweitig vermietet.

In den Wochen nach dem Pogrom mussten sich Fritz und sein Sohn Roy Degginger verstecken, um nicht nach Sachsenhausen verschleppt zu werden. Im Mai 1939 glückte der Familie die Flucht über die grüne Grenze nach Belgien. Nach Monaten des Wartens konnten sie schließlich Ende 1939 aus Antwerpen in die USA einwandern.

 

Autoren: Mert Akyüz, FSJ Kultur, und Dr. Christoph Kreutzmüller, wissenschaftlicher Mitrbeiter


  1. Lebenslauf Fritz Degginger, 1.12.1954, Entschädigungsbehörde Berlin, 251682.
  2. Foto Hans Schaller, 1.4.1933, bpk 30005414.
  3. Eidesstattliche Versicherung Fritz Degginger, 22.12.1954, ebd.
  4. Eidesstattliche Versicherung Fritz Degginger, 22.12.1954, ebd.