Verfolgen und Aufklären. Die Generation der Holocaustforschung.

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Unsere gemeinsam mit dem Touro College Berlin und der Wiener Library London erarbeitete Ausstellung war im Lichthof des Auswärtigen Amtes in Berlin vom 30. Januar bis zum 22. Februar 2019 zu sehen. Vom 27. Februar bis 17. Mai 2019 wird sie in der Wiener Library in London gezeigt. Wir dokumentieren im Folgenden Auszüge aus der Rede von Dr. Hans-Christian Jasch, Direktor der Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz, zur Eröffnung der Ausstellung am 30. Januar 2019.

“The responsibility for the crime of the murder of the whole Jewish nationality in Poland rests first of all on those who are carrying it out, but indirectly it falls also upon the whole of humanity, on the peoples of the Allied nations and on their governments, who up to this day have not taken any real steps to halt this crime. By looking on passively upon this murder of defenseless millions tortured children, women and men they have become partners to the responsibility.”

Szmuel Artur Zygielbojm, Der Brief ist in den Yad Vashem Archives im Internet einsehbar: https://www.yadvashem.org/docs/zygielbojm-letter-to-polish-national-council-in-exile.html (eingesehen am 20. November 2018).

Diese Zeilen stammen aus dem Abschiedsbrief vom 12. Mai 1943 von Szmuel Artur Zygielbojm an den Exilpräsidenten von Polen, Władysław Raczkiewicz und den Premierminister Władysław Sikorski.

Ausstellung im Lichthof des Auswärtigen Amtes, Werderscher Markt 1, Berlin, 30.1.-22.2.2019

Zygielbojm war seit März 1942 für die jüdische Arbeiterpartei ‚Bund‘ Mitglied des polnischen Nationalrates, des Exilparlamentes in London. Seine Frau Manya und ihr Sohn Tuvia starben 1943 im Warschauer Ghetto. Zygielbojm nahm sich nach der Niederschlagung des Ghettoaufstandes in Warschau das Leben.¹

Von einem Parteifreund aus Warschau hatte er über einen schwedischen Mittelsmann am 31. Mai 1942 einen Bericht über die planmäßigen Massenmorde an der jüdischen Bevölkerung erhalten, mit der Forderung diese zu stoppen.² Fieberhaft bemühte er sich daraufhin, die Öffentlichkeit auf das Schicksal der Juden in Polen aufmerksam zu machen und sprach am 26. Juni 1942 auch in der BBC über die Tragödie der Juden.³

Zygielbojms Rundfunkansprache wurde auch von Emmanuel Ringelblum, der sich im damals im Warschauer Ghetto befand, aufmerksam registriert. Ringelblum ist einer der Pioniere der Holocaustforschung, dessen wir gemeinsam mit seiner Mitarbeiterin Rachel Auerbach (die anders als Ringelblum den Holocaust überlebte) mit dieser Ausstellung gedenken wollen. Ringelblum hatte im Warschauer Ghetto unter der Bezeichnung Oyneg Shabbat eine kleine Gruppe von Menschen um sich gesammelt, die sich trotz der widrigen Lebensbedingungen im Ghetto und unter Todesgefahr bemühten, Informationen über die Situation der jüdischen Bevölkerung im besetzten Polen, ihrer Verfolgung und Vernichtung zu sammeln und diese auch nach außen zu tragen.

Ringelblum vermerkte daher am selben Tage, als er Zygielbojms Rundfunkbeitrag in der BBC hörte, zuversichtlich: „Wir haben dem Feind einen heftigen Schlag versetzt“, indem der Plan, „das polnische Judentum im Geheimen zu vernichten, entlarvt“ wurde.⁴ Er hatte viele Monate gewartet und schon den polnischen Widerstand verdächtigt, dass er die Tragödie der Juden verschweige, um nicht von der des christlichen Polens abzulenken. Ringelblums Hoffnung auf Rettung von außen blieb jedoch vergeblich.⁵

Dies ist die besondere Tragik, mit der sich die frühen Mahner konfrontiert sahen, in ihrem Bemühen, die Massenverbrechen nach Außen zu tragen und in ihrer letztlich enttäuschten Hoffnung auf Rettung durch die Alliierten. Zygielbojm ist hieran zerbrochen. Auch anderen wurde erst spät Gehör geschenkt, wie die Geschichte von Gerhart Riegner deutlich macht, dessen Engagement wir in dieser Ausstellung ebenfalls gedenken möchten. Gemeinsam mit Richard Lichtheim, der von 1938 bis 1946 als Vertreter der Jewish Agency for Palestine beim Völkerbund in Genf tätig war⁶, bemühte sich der aus Berlin stammende Jurist Riegner, als Resident des Jüdischen Weltkongresses (WJC) auf die „Endlösungspläne“ des nationalsozialistischen Deutschlands aufmerksam zu machen. Riegner selbst war 1933 von nationalsozialistischen Studenten aus einem Fenster der Friedrich-Wilhelms-Universität, der heutigen Humboldt-Universität, gestoßen worden – ein Vorgang zu dem die Jura-Professoren (mit Ausnahme des Kirchenrechtlers Rudolf Smend) wie auch die übrigen Kommilitonen geschwiegen hatten. Er machte sich auch daher über die Tötungsabsichten des NS-Regimes keine Illusionen. Gestützt auf glaubwürdige Informanten, darunter den deutschen Industriellen Eduard Schulte, der für die Giesche-Werke in Schlesien tätig war⁷, wandte sich Riegner über britische und amerikanische diplomatische Kanäle am 8. August 1942 an die Regierungen in London und Washington:

“Erhielt alarmierenden Bericht in Führerhauptquartier werde Plan diskutiert und erwogen alle Juden in von Deutschland besetzten oder kontrollierten Ländern Anzahl dreieinhalb bis vier Millionen nach Deportation und Zusammenfassung im Osten mit einem Schlag auszurotten und damit die jüdische Frage in Europa ein für allemal zu lösen. Aktion geplant für Herbst. Methoden einschließlich Blausäure in Diskussion. Wir übersenden diese Information unter gebotenem Vorbehalt, da Genauigkeit von uns nicht überprüft werden kann. Unser Informant soll enge Verbindungen mit höchsten deutschen Behörden haben und seine Berichte sind im Allgemeinen zuverlässig. Bitte New York informieren und befragen.”

Gerhart Riegner
Eröffnungsrede Dr. Jasch, 30.1.19

Obwohl bereits Nachrichten über Massenmorde nach England und in die USA gedrungen und sogar presseöffentlich geworden waren, wertete das US-State Department den Inhalt des Riegner-Telegramms zunächst als „wild rumor, fueled by Jewish anxieties“.⁸

Es dauerte bis in den Spätherbst 1942, dass sich die Informationen weiter verdichteten und auch presseöffentlich gemacht wurden. Die New York Times brachte am 25. November 1942 einen Bericht, der die Lager der Aktion Reinhardt – Belzec, Sobibór und Treblinka – namentlich erwähnte. Ferner wurde über Bunker an der sowjetischen Grenze berichtet, die als Gaskammern verwendet würden, und über die Krematorien von Auschwitz.⁹ In der Fortsetzung ihrer Berichterstattung vom Vortag erwähnte die New York Times am 26. November 1942, dass Juden mit Blausäure getötet würden – dies entsprach dem Riegner-Telegramm.¹⁰ Vor dem Hintergrund der Erfahrung mit „Greuelpropaganda“ im Ersten Weltkrieg¹¹ stießen solche Berichte jedoch in Großbritannien und den USA auf Skepsis.

Immerhin versuchten nun auch in Deutschland einzelne Geistliche wie der Berliner Bischof Konrad Graf von Preysing, vorsichtig – aber öffentlich – in der St.-Hedwigs-Kathedrale Stellung gegen die Behandlung der Juden zu beziehen. In einem Hirtenbrief zum vierten Advent vom 13. Dezember 1942, der eine größere Öffentlichkeit erreichte, im Januar 1943 sogar im US-Senat verlesen wurde und über den am 13. Mai 1943 die BBC berichten sollte, betonte Preysing die Geltung allgemeiner und unveräußerlicher Menschenrechte auch für Juden, die er allerdings nicht ausdrücklich erwähnte:

“All die Urrechte, die der Mensch hat, das Recht auf Leben, auf Unversehrtheit, auf Freiheit, auf Eigentum, auf eine Ehe, deren Bestand nicht von staatlicher Willkür abhängt, können und dürfen auch dem nicht abgesprochen werden, der nicht unseres Blutes ist und nicht unsere Sprache spricht […].”

Berliner Bischof Konrad Graf von Preysing, Zit. nach Dörner, ebenda, S. 451 mit Verweis auf: Bischöfliches Ordinariat Berlin (Hrsg.), Dokumente aus dem Kampf der katholischen Kirche im Bistum Berlin gegen den Nationalsozialismus, 2000, S. 114-118.

Die Bemühungen der Vertreter des WJC, die Regierungen der Alliierten wach zu rütteln, waren schließlich von einem kleinen, zumindest diplomatischen, Erfolg gekrönt: Am 17. Dezember 1942 wurde eine inter-alliierte Erklärung zur Vernichtung der Juden verabschiedet und öffentlich gemacht. Die beteiligten Staaten beschlossen feierlich, dass die Verantwortlichen für die deutschen Grausamkeiten – „the bestial policy of cold-blooded extermination“ – zur Rechenschaft gezogen werden sollten: „would not escape retribution“.¹³

 In der Presse wurde die inter-alliierte Erklärung breit rezipiert, von der BBC mehrfach über Radio ausgestrahlt und auch im Januar 1943 millionenfach in einem Flugblatt mit den Titeln „Massenmord“ und „Kraft durch Furcht“ über Deutschland abgeworfen und verbreitet.¹⁴

Im Britischen Unterhaus fand im Kontext der Erklärung eine Schweigeminute statt, zu der sich die Members of Parliament feierlich erhoben; ein Vorgang mit dem das NS-Blatt „Kärntner Zeitung“ auf ihrer Titelseite aufmachte: „Alljuda legt seine Maske ab. Englisch-amerikanische Judenerklärung – Das Unterhaus ehrt Juda“.

Die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) in der neutralen Schweiz meldete in diesem Kontext, „dass die Schuldigen nach dem Kriege bestraft würden“. Dem US-State Department lägen Berichte vor, wonach „die deutschen Behörden sich nicht damit begnügten, Personen jüdischer Rasse in allen Gebieten, über die sich ihre Herrschaft erstreckt, die elementarsten Menschenrechte abzusprechen, sondern daß sie die oft geäußerte Absicht Hitlers, das jüdische Volk in Europa auszurotten, in die Tat umsetzen.“¹⁵

Auch der Papst in Rom blieb nach der inter-alliierten Erklärung nicht untätig, wenn auch weiterhin vorsichtig: In seiner Weihnachtsansprache nannte Papst Pius XII. die Millionen Jüdinnen und Juden oder die deutschen Verantwortlichen nicht, gedachte aber der „Hunderttausende[n], die persönlich schuldlos, bisweilen nur um ihrer Volkszugehörigkeit oder Abstammung willen, dem Tod geweiht oder einer fortschreitenden Verelendung preisgegeben sind“. Auch diese Botschaft erreichte über Radio Vatikan die Weltöffentlichkeit.

Das Morden ging allerdings nahezu ungehindert weiter bis in das Frühjahr 1945 hinein. Erst die totale Niederlage des Deutschen Reiches nach vielen verlustreichen Schlachten, in denen Millionen alliierter Soldaten starben, beendete auch den Holocaust.

Die mutigen Frauen und Männer, von denen wir Ihnen hier einige vorgestellt haben, brachten das Wissen ans Licht, dokumentierten, trauerten und erinnerten und schufen die Voraussetzungen dafür, dass zumindest einige der Täterinnen und Täter, die am Holocaust beteiligt waren, verfolgt und bestraft wurden.

Wir gedenken heute ihrer und all derer, für die jede Rettung zu spät kam und die Opfer des Holocaust wurden.

Ich freue mich sehr, dass das Auswärtige Amt, uns die Mittel und die Möglichkeit gegeben hat, diese Ausstellung zu erarbeiten und sie zu zeigen. Unser Dank gebührt namentlich Herrn Minister Maas und Frau Staatsministerin Müntefering, Herrn Felix Klein und seiner Nachfolgerin Frau Michaela Küchler, die dieses Projekt großzügig gefördert haben.

Besonders danken möchte ich aber auch allen anderen Mitwirkenden: Herrn Prof. Lehnstaedt und seinen Studentinnen und Studenten vom Touro College Berlin sowie Ben Barkow und Dr. Barbara Warnock von der Wiener Library in London, die die Ausstellungsinhalte gemeinsam erarbeitet haben; Herrn Kai von Rabenau als unserem Partner für die Visualisierung und das Design der Ausstellung; Herrn Maximilian Jung für seine Koordinierungstätigkeit und Frau Kathrin Janzen für das unermüdliche Lektorat der Texte unter großem Zeitdruck und schließlich Herrn Ibrahim Turan für die Entwicklung und den Aufbau des Ausstellungssystems.

Dr. Hans-Christian Jasch (Haus der Wannsee-Konferenz), Staatsministerin Michelle Müntefering, Prof. Stephan Lehnstaedt (Touro College Berlin)
Quellennachweise
  1. Vgl. Aleksander Rowiński, Zygielbojms Reise: eine Spurensuche. 2. Auflage, Osnabrück 2004.
  2. Der Bericht ist in deutscher Übersetzung abgedruckt in: VEJ 9,
    Polen: Generalgouvernement August 1941-1945, als Dok. Nr. 74 auf S. 279-281.
  3. VEJ 9, Polen: Generalgouvernement August 1941-1945, Anmerkung 3 zu Dok. Nr. 87, S. 306.
  4. Ebenda, hier S. 307; Kundrus, „Dieser Krieg ist der große Rassekrieg“, S. 244.
  5. Vgl. auch: Walter Laqueur, Das schreckliche Geheimnis. Teil 1, in: Der Spiegel 35/1981, S. 124-138.
  6. Richard Lichtheim (16. Februar 1885 – 29. April 1963) gehörte 1919 zur zionistischen Delegation bei den Friedensverhandlungen von Versailles.
    1921 berief ihn Chaim Weizmann ins Büro der Zionistischen Weltorganisation nach London.
    1934 wanderte Lichtheim mit seiner Familie nach Palästina aus und ging dann nach Genf.
    Vgl.: Lichtheim, Rückkehr – Lebenserinnerungen aus der Frühzeit des deutschen Zionismus, Stuttgart 1970.
  7. Vgl.: HOLOCAUST. Tip aus Breslau, in: DER SPIEGEL 51/1983,
    unter: www.spiegel.de/spiegel/print/d-14024518.html (eingesehen am 20. November 2018).
  8. Zit. nach ebenda.
  9. NYT, 25. November 1942, zit. nach Hilberg, Vernichtung, S. 1193.
  10. NYT, 26. November 1942, S.16, zit. nach: Hilberg, Vernichtung, S. 1193 f.
    Vgl. hierzu: Joachim Neander, The Danzig Soap Case: Facts and Legends around ‚Professor Spanner‘ and the Danzig Anatomic Institute, 1944-1945, in: German Studies Review 29:1 (Feb. 2006), 63-86,
    unter: www.history.ucsb.edu/faculty/marcuse/dachau/legends/2006NeanderDanzigSoapCaseGSR.pdf
    (eingesehen am 20. November 2018).
  11. Vgl. hierzu John Horne/Alan Kramer, German Atrocities 1914. A History of Denial, 2001.
  12. Zit. nach Dörner, ebenda, S. 451 mit Verweis auf: Bischöfliches Ordinariat Berlin (Hrsg.), Dokumente aus dem Kampf der katholischen Kirche im Bistum Berlin gegen den Nationalsozialismus, 2000, S. 114-118.
  13. Zur Entstehungsgeschichte der Erklärung, s. David S. Wyman, The Abandonment of the Jews: America and the Holocaust, 1941-1945, New York 1984, S. 112-180.
  14. Dörner, Die Deutschen und der Holocaust (Fn. 3), S. 452, S. 459, abgedruckt auf S. 811 f.
    Das Flugblatt führte auch eine Liste europäischer Staaten mit der jüdischen Vorkriegsbevölkerung und dem vermuteten aktuellen Stand auf: „In Deutschland gab es bis 1939 etwa 200.000 Juden. Von ihnen sind bis auf 40.000 alle zugrunde gegangen oder deportiert.“ Am Ende heißt es: „Man muß annehmen, dass weit mehr als eine Million europäischer Juden bereits ausgerottet worden ist!“
  15. NZZ, 17. Dezember 1942, Abendausgabe, S. 2, zit. nach: Dörner, Die Deutschen und der Holocaust (Fn. 3), S. 452, 753.