Die Fokusgruppe im Gespräch:
„Das war wie etwas sehen, was andere nicht sehen können.“

Auszug aus: Elke Gryglewski/Hans-Christian Jasch/David Zolldan (Hrsg.): Design für Alle. Standard? Experiment? Notwendigkeit? Das Making of zur 3. Dauerausstellung. Berlin: Metropol, 2021. S. 139-169.

© GHWK Berlin
Die Expert*innen in eigener Sache am 14.11.2017, Gedenkstätte Deutscher Widerstand Berlin

Drei Jahre arbeitete eine Gruppe als Expert*innen in eigener Sache an Inhalt und Gestaltung der neuen Ausstellung in einem Design für Alle mit. Die Fokusgruppe arbeitete als Gremium für eine inklusivere Ausstellung von Beginn an mit. Sie sollte möglichst alle Bedarfe, die aus körperlichen, geistigen und Sinnes-Einschränkungen entstehen, abdecken. Im Prozessverlauf wirkten insgesamt zehn Personen als Repräsentant*innen der Felder Sehen, Hören, Bewegen, Verstehen und Empfinden aus Verbänden von Menschen mit Einschränkungen mit. Unterstützt wurde die Arbeit von zwei Sachverständigen für Barrierefreiheit, Hilke Groenewold und Christiane Schrübbers. Zu den Aufgabenbereichen der beratenden und mitplanenden Gruppe gehörten Orientierungshilfen im und um das Haus, Textstile, Möbeldesign, technische und digitale Hilfen und das Farbkonzept genauso wie abstraktere Fragen nach der Sichtbarkeit inklusiver Maßnahmen oder nach Kompromissen zwischen Barrierefreiheit, Denkmalschutzvorgaben und ästhetischer Gestaltung. Im Gespräch mit den Projektleitenden, Elke Gryglewski und David Zolldan, lassen sie ihre Eindrücke noch einmal Revue passieren. Das Gespräch, an dem der Großteil der Gruppe teilnahm, wird hier im Vergleich zur Druckversion noch einmal stark gekürzt wiedergegeben. 

Elke Gryglewski: Wir haben ja die Ausstellung bewusst in einem Design für Alle gestalten wollen. Haben Sie das Gefühl, was nun im Erdgeschoss zu sehen ist, ist ein Design, das für alle da und auch gut ist? 

Elke Janßen (Begleitung für Marion Herschel, Lebenshilfe Berlin): Ein Design für Alle? Ich denke, dass vieles möglich ist, ein Design wirklich für alle ist aber wahrscheinlich eine Utopie. Aber die Ausstellung spiegelt auf jeden Fall den Willen dazu.  

Andreas Liebke (psychisch beeinträchtigt): Ich denke schon, und ich möchte auch beinahe sagen, es ist durchaus eine Ausstellung für alle. Aus meiner Perspektive wurde an ziemlich alle so gut wie möglich gedacht. Mein Wunsch war ja zum Beispiel auch, diese vorherige Textlastigkeit deutlich zu reduzieren, und das wurde gemacht.  

Andreas Krüger (seheingeschränkt): Design für Alle und eine barrierefreie inklusive Ausstellung – das sind immer diese Schlagwörter, mit denen leichtfertig umgegangen wird. Das haben wir ja auch diskutiert. Und wir haben dann oft als Community gesagt, dass es für uns schon ein wichtiges Indiz ist, wenn auf solche Elemente und Zugänge für unsere Gruppen aufmerksam gemacht wird, ohne dass alles barrierefrei ist, wie man sich das vorstellt und wie es vielleicht das Gesetz auch vorgibt. Trotzdem sind die Ansätze da, und das zeigt letztendlich die Haltung eines Hauses.  


David Zolldan: Ich würde im Hinblick auf Ihre Bedürfnisse gerne über Barrierefreiheit sprechen. Wenn Sie in ein Museum gehen oder sich irgendwo eine Ausstellung angucken, welche Barrieren sehen Sie da? Was macht es für Sie schwer, den Inhalt zu verstehen? 

C. Pargmann (lernbeeinträchtigt): Wenn es kein Leitsystem gibt oder Kopfhörer, über die man erklärt bekommt, wo es lang geht. Es gibt viele Museen, die sind sehr unstrukturiert. Oder die Sprache halt, zum Beispiel bei Geschichte: Wo ist der Anfang? Wie alles angefangen hat – das kann man oft nicht verstehen.  

Krüger: Das größte Problem ist bei mir eigentlich die Orientierungslosigkeit, mich in einem fremden Gebäude zurechtzufinden. Wie kann ich entspannt zum eigentlichen Grund meines Museumsbesuchs kommen, zu den Exponaten? Wie kann ich mich selbst schützen, wie kann ich die Exponate schützen? Und mittlerweile bereitet es mir schon gar keine Freude mehr, in eine Ausstellung mit großen Barrieren zu gehen. Also das betrifft Aspekte der Farb- und Lichtgestaltung. Oder auch mangelhafte Maßnahmen, die zum Beispiel für blinde und sehbehinderte Nutzer*innen notwendig sind, wie am Bodenleitsystem, wie taktile Medien oder Bildbeschreibungen. Dabei geht es letztendlich auch um die Wertschätzung als Besucher mit seinen Bedürfnissen oder mit seinen Einschränkungen. Akzeptiert zu werden, sowohl von den Museumsmitarbeitern als auch von den anderen Besuchern. 

Cordula Schürmann (lernbeeinträchtigt): Wenn irgendwo richtig mega viel Text steht, am besten noch schwer. Es gibt vielleicht Menschen, die lesen sich das durch. Aber es gibt auch Menschen, die denken sich da: „Ja, komm, kannste ja gleich sein lassen.“ 


Gryglewski: Und kann man sehen, dass eine Gruppe von Expert*innen für Barrierefreiheit an der Ausstellung mitgearbeitet hat, dass Sie also als Gruppe daran beteiligt waren? 

Anja Winter (blind): Es ist klar ersichtlich, dass ein recht diverses Team von Expert*innen in eigener Sache an der Ausstellungsgestaltung beteiligt war, denn dies spiegelt sich in den vielfältigen Zugängen wider. 

Fritz-Bernd Kneisel (hörbeeinträchtigt): Das würde ich bejahen. Also wir können es auf jeden Fall sehen. Ob die Besucher das am Ende können, weiß ich nicht.  

Andrea Mattern (hörbeeinträchtigt): Wir haben die taktilen Elemente. Wir haben das Blindenleitsystem, die Hörstationen mit induktiven Elementen und die Mediaguides mit Leichter Sprache. Ich denke schon, dass man es sehen kann.  

Janßen: Und unterfahrbare Ausstellungstische.  

Krüger: Es wird hier offen umgegangen mit dem Aspekt des inklusiven Zugangs. Man sieht es auch in der farblichen Gestaltung und der gleichberechtigten Gegenüberstellung der unterschiedlichen Text- und Verbindungselemente. Und dann zeigt es sich natürlich auch vor Ort, innerhalb der Gedenkstätte, dass es Schulungen des Personals gab, die jetzt einen sicheren Umgang mit unterschiedlichen Gruppen haben. Es wird nichts versteckt. Und so wird hier auch Aufklärung betrieben. Die Besucher ohne Behinderung wissen, was hier geschieht und auch, wer noch zu den Besuchern der Gedenkstätte gehört.  


Gryglewski: Wie würden Sie denn die Atmosphäre beschreiben, die die Ausstellung für Sie ausstrahlt?  

Janßen: Der Charakter der Räume ist ja erhalten geblieben. Die Ausstellungsstücke und Medienstationen sind darin übersichtlich angeordnet, und es ist genug Raum dazwischen.  

Schürmann: Also ich finde auch, es sieht jetzt viel geräumiger aus. Man kam da vorher rein und wurde gleich von der Masse erschlagen. Aber jetzt hat man da den Plan zum Tasten, kann da stehen und kann gucken, ah, da geht’s lang! Am Anfang kommt man dann zu der großen Videowand mit den Tippgeräuschen, und dann die Fliesen. Die Fliesen, finde ich, mit dem Blauton kommen jetzt so richtig zur Geltung. Oder der Stoff [an der Wand]: Ich finde, das passt.  

Krüger: So ganz mag ich mir da kein abschließendes Urteil erlauben, weil ich ja seit der Eröffnung [corona-bedingt] leider nicht vor Ort war. Zum einen werden durch die Ausstellungselemente, also die Ausstellungsarchitektur und Anordnung, mehr Neugier und mehr Konzentration auf die Hauptthemen gezogen. Und ich selbst kann entscheiden, ob und wie ich welches Thema bearbeiten möchte. Wenn ich tiefer in die Materie einsteigen will, muss ich mir das und das vornehmen. Und das ist jetzt offensichtlicher als bei der alten Dauerausstellung, wo sämtliche Informationen gleichberechtigt nebeneinanderstanden. Und dann ist da tatsächlich diese etwas luftige Atmosphäre, die die Räume jetzt vermehrt ausstrahlen, sodass ich die Architektur des Hauses noch mehr verspüre. 


Zolldan: Ich würde vorschlagen, dass wir zum nächsten Fragekomplex kommen, nämlich Fragen zur Zusammenarbeit. Ich denke manchmal an das erste Treffen. Da haben wir so ziemlich alles falsch gemacht, was man falsch machen konnte. Wir haben zum Beispiel ständig vergessen, uns für die Seheingeschränkten vor einem Wortbeitrag vorzustellen. 

Krüger: Ich erinnere mich an die erste Zusammenkunft. Bei der gab es noch eine große Distanz. Das war schon auffällig, dass es da eindeutige Berührungsängste gab. Aber nachdem man sich kennengelernt und vorgestellt hat und bewiesen hat, wie wichtig es einem ist, an dem Prozess mitzuarbeiten, hat sich das gelegt. Und man war wirklich ein Team, das auch die Inhalte des Hauses detailliert besprochen hat und dabei unterschiedliche Sprachniveaus genutzt hat, um tatsächlich alle Beteiligten mitzunehmen. Das fand ich am beeindruckendsten.  

Gryglewski: Ja, eine gemeinsame Sprache zu finden war zuerst ein Problem. Wir wussten manchmal nicht, ob die Sprache, die wir untereinander benutzen, für alle in Ordnung war.

Janßen: Es gibt eine Fachsprache unter Kuratoren und Museumsfachpersonal, die so eingeübt ist, dass sie von den Museumsexperten nur schwer losgelassen werden konnte. Mich hat es besonders gefreut, dass es uns doch gelungen ist, in einer Gruppe mit vielen intellektuell geschulten Personen einfach zu sprechen. Zwischendrin hielt ich das für unmöglich. Schließlich waren viele Zusammenhänge komplex. Beeindruckt hat mich auch, wie sich die Mitarbeiter vom Haus der Wannsee-Konferenz, die Kuratoren und andere Mitwirkende dann auf diese konstruktiven Gespräche eingelassen haben.

© Foto: GHWK
Die Fokusgruppe beim Test der Dauerausstellung im Anne Frank Zentrum, Berlin 18.1.2019.


Zolldan: Während der Treffen ist ja mehrfach die Frage aufgekommen, ob die Barrierefreiheit einer Person zu einer Barriere für eine andere Person wird. Wo wurde die Barrierefreiheit einer anderen Person aus der Gruppe zu einer Barriere für Sie oder auch andersherum? 

Krüger: Das betrifft dann vor allem den Außenraum – also Konflikte zwischen Menschen mit Sehbehinderung und mobilitätseingeschränkten Menschen, da wir Sehbehinderten auf Taktilität und unterschiedliche Bodenbeschaffenheit angewiesen sind. Und Rollstuhlnutzer freuen sich natürlich über ebenerdige Flächen, während für uns eine räumliche Abgrenzung besser ist. Und in der Situation fand ich es schon schade zu beobachten, dass im Rahmen des Denkmalschutzes nicht den Wünschen der jeweiligen Gruppe gerecht geworden werden konnte.  

Kneisel: Aus Sicht der Hörbehinderten gibt es zwar oft Angebote für taube Menschen, also zum Beispiel Videos mit Gebärdensprache, aber Angebote für Hörbehinderte fehlen. Wenn man Hilfestellungen für Gehörlose nutzt, die helfen uns oft nicht, aber eine Barriere ist das nicht. 

Mattern: Es ist eben wichtig, dass bei den Führungen FM-Anlagen eingesetzt werden. Ansonsten haben wir ja den Vorteil, dass wir meistens viel lesen können. Hier ist es schön, dass am Wannsee bei den Filmen Untertitel vorhanden sind und man die Hörstationen mit Induktionsschlaufe nutzen kann. Man merkt, dass sich in vielen Einrichtungen etwas tut. Man ist in letzter Zeit mehr bemüht, auch die Sinnesbeeinträchtigungen zu berücksichtigen. Vorher war es – im umgangssprachlichen Gebrauch – immer nur die Mobilitätseinschränkung.  


Zolldan: Würden Sie sagen, dass Sie durch unsere Zusammenarbeit Neues über Museen und Gedenkstätten gelernt haben?  

Krüger: Ich habe einiges über Gedenkstätten gelernt. Zum Beispiel zum Thema Bildbeschreibung oder zur Zugänglichkeit gewisser Ausstellungsinhalte: Wie können sie Blinden und Sehbehinderten zugänglich gemacht werden? Gerade wenn es um historisches Bildmaterial ging, wo ich eigentlich dafür plädierte, eine gleichberechtigte Teilhabe zu ermöglichen. Was Sehende sehen können, sollte Blinden und Sehbehinderten Personen auch vermittelt werden. Einschließlich der menschenverachtenden und gewalttätigen Szenerien. Da haben wir ja diskutiert, ob das in dem Maße tatsächlich so geleistet werden kann und soll. Eine sehende Person kann schnell weggucken, aber wie kann eine blinde Person mit diesem Eindruck umgehen? Oder dass man moralische Aspekte bei der Gestaltung und Vermittlung mitbedenken muss. Das waren dann auch die Momente, die ich sehr wichtig fand in dem Prozess. Dass es da noch so viel zu lernen gibt, tatsächlich hinter ein Ausstellungskonzept zu blicken, auf eure Arbeit, auf die Vermittlungsarbeit.  

Mattern: Für mich ist es sehr wichtig, dass ich mich in Vorbereitung auf einen Museumsbesuch bereits per Internet darüber informieren kann, welcher Unterstützungsbedarf in Museen für Hörbeeinträchtigte angeboten wird. Da habe ich schon viele negative Erfahrungen gemacht. Wenn z. B. keine Hilfestellung zur Technik gegeben werden kann, wie eine Anlage zu verwenden ist. Ja, weil das so kompliziert und so komplex ist mit den technischen Mitteln, und jeder hat andere Voraussetzungen, einen anderen Grad an Hörverlust oder benutzt andere technische Geräte. Wichtig für mich ist auch der Ansatz, dass das Personal darin geschult ist, Behinderte beim Museumsbesuch zu unterstützen, d. h. das Personal muss die Unterstützungsangebote kennen und auch wissen, wie diese genutzt werden können.  


Gryglewski: Und was würden Sie sich vom Haus der Wannsee-Konferenz noch für die Zukunft wünschen? 

Mattern: Dem Haus der Wannsee-Konferenz würde ich empfehlen, auch in der Bibliothek und der Bildungsabteilung Angebote für Hörbehinderte zu schaffen. Da gibt es noch Bereiche, bei denen man nachlegen kann, um Inhalte für Hörbehinderte zugängig zu machen.  

Winter: Tandemführungen auch für blinde und sehbehinderte Besucher.  

Krüger: Ja, und dann empfehle ich, in der Tat an der Haltung festzuhalten und weiter auszubauen auf weitere Aspekte hin, die eine inklusive vielfältige Gesellschaft ausmachen. Ja, das ist mein großer Wunsch. 

Zolldan: Den teilen wir! Wir werden uns sehr bemühen. An Sie alle vielen Dank für die gute Zusammenarbeit!