Hey Chat GPT, sag mir, was war die Wannsee-Konferenz?

Am 10. Mai 2023 haben wir unter dem Titel "Mit Algorithmen (ge)denken?" einen Fachtag veranstaltet, bei dem es im Gespräch mit Multiplikator*innen aus verschiedensten Bereichen um Herausforderungen und Chancen der Digitalisierung sowie um Online-Antisemitismus ging. Unsere wissenschaftliche Volontärin Judith Alberth berichtet.

 

"Hallo Mensch, ich bin ein GPT-betriebener AI-Chatbot. Frag mich alles!"

"Hey Chat GPT, sag mir, was war die Wannsee-Konferenz?"

"Hallo! Die Wannsee-Konferenz war eine Konferenz, die am 20. Januar 1942 in Berlin stattfand. Es war ein Treffen von hochrangigen Nazi-Beamten, bei dem sie die 'Endlösung der Judenfrage' diskutierten und beschlossen, wie sie die systematische Vernichtung der Juden in Europa durchführen würden. Es war ein entscheidender Moment in der Geschichte des Holocausts und ein trauriges Kapitel in der Menschheitsgeschichte."

Bei einem Gespräch mit Chat GPT wird schnell deutlich, dass die AI (Artificial Intelligence - Künstliche Intelligenz) bestehende Vorstellungen wie die des "Beschlusses zum Holocaust bei der Wannsee-Konferenz" reproduziert.

Bei einer weiteren Unterhaltung mit dem Chatbot werden die Teilnehmer der Konferenz aufgezählt, jedoch wird ein Name nicht genannt, dafür taucht ein anderer auf. Die AI ist in der Lage, ihren Fehler zu erkennen, insofern sie darauf hingewiesen wird. Bei der Frage, ob eine Frau ebenfalls anwesend war, verneint AI. Die aktuellen Forschungen zur anwesenden Sekretärin hat der Algorithmus wohl noch nicht aufnehmen können.

Nun wird das digitale Tool Chat GPT spätestens seit dem letzten Jahr von vielen als Wissensquelle benutzt. Wie sollen wir als Gedenk- und Bildungsstätte mit dieser Entwicklung umgehen? Welche Verantwortung tragen wir, uns den Digitalisierungsprozessen anzupassen?

Um diesen Fragen nachzugehen, haben wir im Mai zur Tagung "Mit Algorithmen (ge)denken?" zu uns an den Wannsee eingeladen. Um die 100 Multiplikator*innen aus den Bereichen Kultur, Bildung, Verwaltung und Polizei nahmen teil und diskutierten mit uns gemeinsam.

Nach der Begrüßung durch Direktorin Deborah Hartmann setzten sich im ersten Panel Dr. Mykola Makhortykh (Universität Bern), Steffen Jost (Alfred Landecker Foundation) und Swantje Bahnsen (SPUR.lab, Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten) mit dem "Unbehagen" am Digitalen auseinander. Moderiert wurde von Dr. Tobias Ebbrecht-Hartmann (The Hebrew University of Jerusalem). Bahnsen konstatierte, dass sich alte und neue Vermittlungsformen ergänzen werden:

"Digitale Anwendungen werden das klassische Bildungsangebot nicht verdrängen, sondern lassen sich in das bestehende Medienensemble einfügen und eröffnen so neue Informations- und Erfahrungsräume."

Der Vormittag wurde ausgefüllt durch diverse Workshops. Nicht nur die Beschäftigung mit KI und Chat GPT in der Geschichtswissenschaft durch Ebbrecht-Hartmann und unseren Kollegen Bernd Körte-Braun war Teil der Workshop-Phase. Malte Grünkorn (#LastSeen) stellte sich den Fragen zu Gaming und Geschichtsvermittlung, Dr. Simon Strick (Brandenburgisches Zentrum für Medienwissenschaften) sprach über "rechte Gefühle" und digitalen Hass und Katja Pratschke und Gusztáv Hámos (SPUR.lab) führten eine VR-Anwendung zur forschenden Erkundung nationalsozialistischer Gewaltgeschichte vor.

Im Anschluss an den Workshop zu digitalem Hass wurde die Erkenntnis formuliert: "Das Internet ist ein hoch emotionaler Raum!"  Auch wurde in unserem Padlet die Frage gestellt: "Affektives oder reflexives Handeln gegenüber Rassismus im Internet?"

Der zweite Teil der Tagung begann mit dem Panel "Antisemitismus (ganz und gar nicht) virtuell". Hier saßen Winfrid Wenzel (Antisemitismusbeauftragter der Polizei Berlin), Anna-Lena von Hodenberg (HateAid) und Prof. Dr. Özen Odağ (RESPOND! - Touro University Berlin) auf dem Podium. Die Moderation übernahm Dr. Tanja Kinzel (Bundesverband RIAS e.V.). Odağs Statement gibt hier einen Einblick in die Diskussion und zeigt die verschiedenen Facetten, unter welchen das Thema betrachtet werden muss:

"Soziale Medien sind Öffentlichkeitsräume mit besonderen Eigenschaften wie Interaktivität, Anonymität und Vernetzung. In diesen Räumen dienen Kommunikationshandlungen vielfach der Konstruktion von Identität und Zugehörigkeit bzw. Abgrenzung und Fremdmachung. Antisemitische Codes und Narrative dienen in sozialen Medien entsprechend ebenfalls der strategischen Identitätskonstruktion."

Die Workshops am Nachmittag stellten Projekte vor, welche sich aktiv mit (Online-)Antisemitismus auseinandersetzten. Monika Hübscher (Universität Duisburg-Essen) sprach zu Social Media Literacy gegen Antisemitismus, Rosa Jellinek (Keshet Deutschland e.V.) teilte ihre Erfahrungen von queerem jüdischen Leben auf Tiktok, Eva Petersen (Beauftragte für Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit - Polizei Berlin) ging mit den Teilnehmenden ins Gespräch zur (Online-)Ausstellung "Jüdisches Leben und Polizei" und Prof. Dr. Martin Heger und Dipl.-Jur. Laura Schwarz (beide von der Juristischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin) widmeten sich dem Thema (Online-)Antisemitismus und Justiz.

Nach dem Austausch über Jellineks Erfahrungen auf TikTok schrieb ein*e Teilnehmer*in in unser Padlet:

"Wann findet die Dominanzgesellschaft endlich ihre Verantwortung, um Bühnen zu bauen und ihre Macht zu nutzen, um von Diskriminierung Betroffenen eine (lautere) Stimme zu verleihen?!"

Die Reaktionen aus dem Workshop zu Antisemitismus und Justiz zeigten dagegen, wie vielfältig der Austausch über Verantwortung und Allyship gedacht werden muss:

"Der induktive Ansatz, Fallbeispiele zu besprechen, war lebensnah und macht die anspruchsvolle juristische Materie bei der Verfolgung von antisemitischer Hasskriminalität zugänglich. Gleichzeitig wurde deutlich, wie sehr es verständlicher Erklärung der Justizarbeit bedarf und wie hilfreich ein unmittelbarer Austausch ist, nicht nur, um Kritik konstruktiv anbringen zu können, sondern auch, um Vorbehalten zu begegnen und verlorenes Vertrauen wieder zu gewinnen."

Abschließend lässt sich sagen, dass der Fachtag trotz seines straffen Programms einen intensiven sowie interdisziplinären Austausch fördern konnte. Die Fragen rund um den Umgang bleiben, wie die Digitalisierung selbst, ein fortwährender Prozess. So wurde auch im Nachhinein eine Fortsetzung gefordert, gerade da wir AI und ihre Algorithmen wie die von Chat GPT in Gänze noch nicht verstehen können. Es liegt in unserer Verantwortung, die Kompetenz der Nutzer*innen digitaler Angebote darin zu schulen, die richtigen Fragen zu stellen. So lernt vielleicht auch der Chatbot noch, dass es bei der Konferenz am Wannsee keinen Beschluss zum Holocaust gab, sondern dieser vor allem bürokratisch und organisatorisch ausgebaut wurde.

Sie wollen weitere Details zu den Workshops, Projekten und Ergebnissen? Dann schauen Sie gerne auf unserem Padlet vorbei!

Von Judith Alberth