Engagement deutscher Juden im Ersten Weltkrieg

in:  Heikaus, Ulrike; Köhne, Julia B. (Hg.), Krieg! Juden zwischen den Fronten 1914–1918, Berlin 2014.
Nach einem Chanukka-Gottesdienst an der Ostfront, 1916, Fotograf unbekannt.

Am 1. August 1914, kurz nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges, proklamierte Kaiser Willhelm II. den "Burgfrieden": 

“Ich kenne keine Parteien und keine Konfessionen mehr; wir sind alle deutsche Brüder und nur noch deutsche Brüder.”

Jüdische Deutsche teilten den patriotischen Konsens von nicht-jüdischen Deutschen. 

Während des Krieges wurde die Institution des Armee-Rabbinats geschaffen. Feldrabbiner waren vor allem für die Seelsorge verantwortlich und wurden von den jüdischen Gemeinden unterstützt. Rabbiner, Priester und Pfarrer hielten gemeinsame Gottesdienste für gefallene Soldaten. Für die jüdische Militärseelsorge gab es keine mit christlichen Militärkirchenordnungen oder Gesetzesregelungen vergleichbare Gleichstellung.

"Judenzählung"

Zusammenfassung, in: Segall, Jacob: Die deutschen Juden als Soldaten im Kriege 1914–1918, Berlin 1921, S. 38.      LeMO Erster Weltkrieg - Innenpolitik - "Judenzählung" 1916 (dhm.de)
Auszug aus Segalls Broschüre.

Die deutsche Kriegseuphorie und die Hoffnung eines schnellen Sieges schwanden mit dem erstarrten Stellungskrieg und der schwierigen Lebensmittelversorgung. 

Antisemitische Botschaften wurden von rechten Agitatoren erfolgreich verbreitet: eine große Zahl jüdischer Wehrpflichtiger sei vom Heeresdienst befreit oder nicht an der Front eingesetzt. Der preußische Kriegsminister ordnete im Oktober 1916 eine statistische Erhebung an. 

Die Verleumdung und Ausgrenzung wurden von deutschen Jüdinnen und Juden als scharfer Bruch der bisherigen Assimilations- und Emanzipationspolitik empfunden. Nach Protesten jüdischer Organisationen stellte das Ministerium fest, dass das Verhalten jüdischer Soldaten weder Ursache noch Veranlassung zu der Anordnung gegeben habe. Da das Ergebnis der "Judenzählung" nie veröffentlicht wurde, erhielten antisemitische Gerüchte und Spekulationen neue Nahrung. 

Die "Judenzählung" trug zur Entfremdung zwischen den Kameraden bei und brachte bei vielen Jüdinnen und Juden die tiefe Ernüchterung, dass auch Patriotismus und hohe "Blutopfer" keine gesellschaftliche Anerkennung fanden.  

1921 gab der Statistiker und Arzt Jacob Segall, Leiter der Zentralwohlfahrtsstelle der deutschen Juden, eine Broschüre heraus, in der er eigene Berechnungen vorlegte. 

Der Reichsbund jüdischer Frontsoldaten (1919-1938)

Compact Memory / Der Schild : Zeitschrift des Reichsbundes Jüdischer Frontsoldaten : H. Sonderausgabe. Berlin (uni-frankfurt.de)
Erste Seite der Sonderausgabe "Der Schild“, Zeitschrift des Bund jüdischer Frontsoldaten, ohne Jahr.

Im kurz nach Kriegsende gegründeten "Stahlhelm - Bund der Frontsoldaten" blieb jüdischen Frontkämpfern die Mitgliedschaft verwehrt. Hauptmann Leo Löwenstein gründete im Februar 1919 den "Reichsbund jüdischer Frontsoldaten" (RjF), in dem das Wirken aller jüdischen Kriegsteilnehmer Anerkennung finden sollte. Mitte der 1920er Jahre hatte der RjF rund 40 000 Mitglieder. Bald war er die mitgliedstärkste Organisation des deutschen Judentums in der Weimarer Republik. 

Mit der verbandseigenen Wochenzeitung "Der Schild" versuchte der RjF, dem in der Weimarer Republik herrschenden Antisemitismus entgegenzuwirken. In einigen Städten des Deutschen Reichs aktivierte der RjF Selbstschutzeinheiten. Vereinzelt kam es dabei zu Kooperationen mit dem "Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold"

Der RjF betonte die Soldatenehre und vertrat ein ausgesprochen deutsch-nationales Judentum. Es war für die Mitglieder zutiefst schockierend, als deutsche Juden unmittelbar nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 für wehrunwürdig erklärt wurden. Ab 1936 durfte sich der RjF nicht mehr politisch betätigen. Als der RjF 1938 aufgelöst wurde, war bereits ein Großteil seiner Mitglieder aus Deutschland emigriert. 

Zum Transkript des Titelblattes.