Zum 77. Jahrestag der Wannsee-Konferenz: Wolfgang Scheffler und das Haus der Wannsee-Konferenz

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Anlässlich des 77. Jahrestags der Wannsee-Konferenz am 20. Januar 1942 lud das Haus der Wannsee-Konferenz Prof. Götz Aly ein, über den Wissenschaftler Wolfgang Scheffler und die Entstehungsjahre der Gedenk- und Bildungsstätte zu sprechen, in denen Scheffler eine Rolle gespielt hatte. Moderiert wurde die Veranstaltung von Dr. Hans-Christian Jasch, dem Leiter der Gedenkstätte. Dieser gab einen kurzen Überblick über den Lebenslauf Schefflers sowie des Zeithistorikers und Journalisten Aly und stellte dann Prof. Peter Klein vor, der als Mitdiskutant eingeladen worden war. Mit dem Hinweis, dass Aly Wolfgang Scheffler zwar viel zu verdanken gehabt habe, es aber auch zu Verwerfungen zwischen den beiden gekommen sei, legte Dr. Jasch die Vermutung nahe, dass es sich bei Alys folgendem Vortrag nicht allein um eine Würdigung handeln würde.

von links: Peter Klein, Götz Aly, Hans-Christian Jasch. Foto: Tim van Beveren

Wolfgang Scheffler (1929-2008) war Historiker und Gerichtsgutachter, der sich in seiner Forschung hauptsächlich mit der Judenverfolgung im Dritten Reich befasst hatte. Im Jahr 1960 veröffentlichte er eine erste Überblicksdarstellung über „Die nationalsozialistische Judenpolitik“, die eine weite Verbreitung fand. 1961 beauftragte ihn das Auswärtige Amt als wissenschaftlicher Beobachter dem Eichmann-Prozess in Jerusalem beizuwohnen. Später war er in weiteren NS-Prozessen tätig und verfasste insgesamt rund 50 Gerichtsgutachten.

Seit den 1970er Jahren lehrte Scheffler am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin und wurde 1986 Professor am Zentrum für Antisemitismusforschung der Technischen Universität. Auch in seiner Lehrtätigkeit legte er besondere Gewichtung auf die Auseinandersetzung mit juristischen Dokumenten. Er unterrichtete seine StudentInnen im Umgang mit diesen und regte verstärkt zu einer intensiven Archivarbeit auch in Osteuropa an. Als streitbar galt Wolfgang Scheffler dann, wenn er Fachkollegen und Publikationen zum Holocaust für die fehlende Einbindung der juristischen Dokumente und die unzureichende quellenkritische Arbeit bemängelte. Auch das Versäumnis von Fachkreisen, die Informationen aus den NS-Prozessen an die breite Öffentlichkeit zu geben und sie somit in aufklärender Funktion nutzbar zu machen, kritisierte er. Selbst in der Kritik stand Scheffler wiederholt wegen verspäteter oder ganz ausbleibender Fertigstellungen von Forschungsarbeiten. Hierzu angeführt wird allen voran der Streit mit der amerikanischen Organisation von Überlebenden des Rigaer Ghettos, die Scheffler den Auftrag für eine Studie über das Schicksal der Juden in Lettland erteilt hatten. Die Studie wurde nicht abgeschlossen, der Streit gipfelte in einem langwierigen Gerichtsverfahren. Und auch seine Initiative für das Haus der Wannsee-Konferenz, die in biographischen Darstellungen über ihn hervorgehoben wird, wurde in Götz Alys Vortrag zu einer Kontroverse.

Aly sprach zunächst von dem 1966 gestarteten Versuch Joseph Wulfs, in dem Gebäude am Wannsee ein „Internationales Dokumentationszentrum zur Erforschung des Nationalsozialismus und seiner Folgeerscheinungen“ einzurichten. Wulf (1912-1974) war Historiker und Holocaust-Überlebender, der es sich zu einer Lebensaufgabe gemacht hatte, die Verbrechen des Nationalsozialismus zu dokumentieren. Heute als „Pionier“ dieser Aufgabe gewürdigt, fand er in seinen Bemühungen zu Lebzeiten wenig Resonanz. Die Wannseevilla diente dem Bezirk Neukölln seit 1952 als Schullandheim. Wulfs Versuch der Umfunktionierung und Etablierung eines Forschungsinstituts am historischen Ort scheiterte, obwohl er viele auch prominente Unterstützer wie Nahum Goldmann, Golo Mann und Karl Jaspers fand. Als Gründe für das Scheitern nannte Aly die allgemeine Gleichgültigkeit jener Zeit, die Fluchtbewegung der ersten Nachkriegsgeneration vor dem „Abgrund Auschwitz“, die West-Berliner Stadtregierung und schließlich die Intrigen des Mitinitiators Scheffler.

von links: Aly, Jasch, Klein. Foto: Tim van Beveren

In der politischen Haltung gegen das Dokumentationszentrum standen Aussagen wie die des SPD-Bürgermeisters Klaus Schütz, der keine „makabre Kultstätte“ fördern wollte und die Bedeutung des Schullandheims für die Berliner Schüler betonte, neben der des SPD-Landesvorsitzenden Kurt Matticks, der den Vorschlag als „völlig unsinnig“ abtat, und schließlich der extremen Rechten der NPD. Diese betitelte eine Dokumentationsstätte in Wulfs Sinne als „Rachedenkmal“ und Joseph Wulf selbst als „politischen Bußapostel“, der sich „von jeher ausschließlich gegen die ‚Nazi-Vergangenheit‘, richtete, die nach seinem Willen niemals zur Ruhe kommen‘ darf.“*

Für die Behauptung über Scheffler, der seit 1966 Mitglied des Trägervereins „Internationales Dokumentationszentrum“ war, führte Aly einen Brief an, den er bei einer Recherche in dessen Nachlass gefunden hatte. Darin schrieb Scheffler 1969 an Klaus Schütz:

„(…) dass ein von Herrn W. geleitetes Institut, wie ich aus vielen Gesprächen mit in- und ausländischen Kollegen weiß, mit Sicherheit auf unüberwindliche Schwierigkeiten stoßen wird.“, und weiter: „dass ein Institut unter der alleinigen Leitung von Herrn Wulf die zukünftige wissenschaftliche Arbeit nur diskreditieren könnte“ und „binnen kurzem zum Scheitern verurteilt wäre“.

Die Motivation für die Diffamierung seines Kollegen sei nach Aly der Wunsch Schefflers gewesen, selbst Direktor des zu gründenden Dokumentationszentrums zu werden. Auch Neid habe ihn angetrieben, so Aly, auf die Fähigkeit Wulfs (sowie anderer Wissenschaftler), die Texte zu produzieren, die er selbst nicht in der Lage war zu schreiben und zu veröffentlichen. In der Folge habe er damit nicht nur Wulf geschadet, sondern auch das Projekt der Wannseevilla sabotiert.

Erst 1986 knüpfte der Senat an die von Wulf initiierte Idee an und beschloss das Haus in eine Gedenkstätte umzuwandeln. Joseph Wulf erlebte dies nicht mehr mit. Er hatte sich 12 Jahre zuvor das Leben genommen, als er sich aus dem Fenster seiner Berliner Wohnung stürzte. In einem Nachruf von 1989 verglich Wolfgang Scheffler den tragischen Tod Wulfs mit dem „Todessprung seiner Leidensgenossen aus den Fenstern der brennenden Häuser des Warschauer Ghettos.“ Diese Geschmacklosigkeit ist für Aly das letzte Indiz, das den Historiker Scheffler als „falschen Fünfziger“ überführt, der Joseph Wulf über Jahre hinweg hinterrücks Steine in den Weg gelegt habe.

Mit dem Anliegen, Wolfgang Scheffler zu verteidigen, ergriff Prof. Peter Klein das Wort. Klein, der ein Mitarbeiter des Hauses der Wannsee-Konferenz ist und seit 2013 am Touro College Berlin in der Fakultät „Holocaust Communication and Tolerance“ lehrt, war ein Schüler Schefflers. Für ihn sei das von Aly als intrigant und selbstsüchtig erklärte Handeln Schefflers vermutlich der Versuch gewesen, das geplante Dokumentationszentrum trotz der Person Wulfs, die damals sehr in der Kritik stand, zum Erfolg zu führen. Tatsächlich war Wulf in wissenschaftlichen Kreisen ein Außenseiter gewesen, dem man aufgrund seines „Opfer-Status“ Befangenheit vorwarf. Ganz eindeutig habe sich Scheffler in einem offiziellen Gutachten von 1968 für die Eröffnung des Hauses der Wannsee-Konferenz ausgesprochen. Seine Initiative für die Gedenkstätte sei ihm demnach nicht abzustreiten.

Dass Scheffler anderen Forschern seines Bereichs ihr produktives Schaffen geneidet oder dieses mitunter scharf kritisiert hatte, lag laut Klein an einer tiefen Verunsicherung und Schreibhemmung des Historikers. Auch haben lange Krankheitsphasen dafür gesorgt, dass er in seiner eigenen Arbeit oft beeinträchtigt war. Welche Bedeutung er aber dennoch für die Holocaust-Forschung gespielt habe, sei unter anderem an Aly selbst ersichtlich. Wie kaum ein anderer habe Scheffler die Archivarbeit und Recherche an den Originalquellen gefördert und dabei in seinem Unterricht auch Götz Aly als Vorbild genannt.

Bild- und Tonübertragung machte es möglich, 150 Gäste im Erdgeschoss des Hauses willkommen zu heißen. Foto: Tim van Beveren

Die Diskussion, die sich aus dem Redebeitrag Kleins in Reaktion auf Alys Vortrag ergab, war verhalten. Zu ihrem Ende betonte Aly die Unart des „Hackens“ unter deutschen Historikern im internationalen Vergleich, stellte wieder einmal fest, dass Historiographie nicht objektiv sein kann und dass gegensätzliche Perspektiven somit gleichsam ihre Daseinsberechtigung hätten.

Den Kommentaren der Anwesenden nach Abschluss der Veranstaltung war zu entnehmen, dass man nicht mit der kritischen Tragweite in Alys Vortrag gerechnet hatte, obwohl dieser dafür bekannt ist, Kontroversen auszulösen und sich über den „Anpassungsdruck“ zeitgenössischer Historiker hinwegzusetzen. Dass der Gedenktag in diesem Jahr anderer Art war, als es sonst im Haus der Wannsee-Konferenz üblich ist, wie Dr. Jasch es in seiner Einführung bemerkte, lässt sich in jedem Fall bestätigen.

*Dieses und folgende Zitate stammen aus: Götz Aly: Machtkampf mit Joseph Wulf. Wie Wolfgang Scheffler das Projekt Wannseevilla sabotierte, in: Berliner Zeitung online vom 21.01.2019.

Das Haus der Wannsee-Konferenz dankt dem Fotografen Tim van Beveren (tvbmedia production)!