Léon Poliakov: St. Petersburg – Paris – Berlin. Memoiren eines Davongekommenen

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Am Sonntag, 23. Juni 2019, 11 Uhr, haben wir in der Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz den Mitübersetzer der Memoiren Léon Poliakovs, Alexander Carstiuc, und die Lektorin Janina Reichmann zu Gast. Sie stellen das Buch und den Autor vor, Dr. Kathrin Stoll moderiert – Eintritt frei, bitte anmelden unter veranstaltungen@ghwk.de!

Poliakovs Memoiren in deutscher Übersetzung erscheinen im April 2019 und sind dann auch in unserer Joseph Wulf Bibliothek zu haben – oder hier bei der Edition Tiamat bestellen.

Aus diesem Anlass veröffentlichen wir die (kurzen, aber instruktiven) Tafeln zu Léon Poliakov und Joseph Wulf aus der Ausstellung „Verfolgen und Aufklären. Die erste Generation der Holocaustforschung“, die vom 30. Januar bis 22. Februar 2019 im Lichthof des Auswärtigen Amts in Berlin zu sehen war. Noch bis zum 17. Mai 2019 wird sie in der Wiener Library in London gezeigt.

 

„Ich wollte wissen, warum man mich töten wollte gemeinsam mit Millionen anderer menschlicher Wesen.“

Léon Poliakov (1910-1997) gründete ein Zentrum zur Erforschung des Holocaust in Frankreich und veröffentlichte zahlreiche Studien zu unterschiedlichen Tätergruppen.

Poliakov wird in St. Petersburg geboren. Nach der Oktoberrevolution 1917 emigriert seine Familie nach Paris, er studiert Jura und Literaturwissenschaft. Anschließend arbeitet er als Journalist und gibt mit seinem Vater eine deutschsprachige Exilzeitschrift heraus.

Als französischer Soldat gelangt er 1940 in deutsche Kriegsgefangenschaft, aus der er kurz darauf flieht. Poliakov schließt sich der Résistance an und war an der Rettung vieler jüdischer Kinder beteiligt. Gemeinsam mit Isaac Schneerson gründet er 1943 im Untergrund das Centre de documentation Juive Contemporaine (CDJC, Zentrum für zeitgenössische jüdische Dokumentation), eine historische Kommission zur Dokumentation der Verbrechen an den französischen Jüdinnen und Juden. Sie ist heute Teil des Mémorial de la Shoah, der Holocaust-Gedenkstätte Frankreichs.

Während der Nürnberger Prozesse ist Poliakov als Berater für die französische Delegation tätig. Als wissenschaftlicher Leiter des CDJC erforscht er den Holocaust. Mit Le Bréviaire de la haine. Le IIIe Reich et les Juifs (Brevier des Hasses. Das Dritte Reich und die Juden) publiziert er 1951 eine umfangreiche Studie zum Holocaust. Gemeinsam mit Joseph Wulf veröffentlicht er zwischen 1955 und 1958 drei Dokumentenbände zu nationalsozialistischen Tätergruppen in deutscher Sprache.

Bis zu seiner Emeritierung lehrt Poliakov an der Sorbonne und forscht zu den Themen Antisemitismus und Rassismus.

Léon Poliakov und Joseph Wulf in Paris, 1966

„Ich habe hier 18 Bücher über das Dritte Reich veröffentlicht und das alles hatte keine Wirkung. Du kannst Dich bei den Deutschen tot dokumentieren, es kann in Bonn die demokratischste Regierung sein – und die Massenmörder gehen frei herum, haben ihr Häuschen und züchten Blumen.“

Joseph Wulf (1912-1974) veröffentlicht die ersten dokumentarischen Werke über den Holocaust in deutscher Sprache und konfrontiert die deutsche Gesellschaft mit den Verbrechen.

Wulf wird in Chemnitz geboren, wächst aber in Krakau auf und erhält eine rabbinische Ausbildung. Zwischen 1941 und 1943 gehört er in den Ghettos von Krakau und Bochnia dem Widerstand an. 1943 wird er nach Auschwitz deportiert. Auf einem der Todesmärsche gelingt ihm 1945 die Flucht. Seine Frau und sein Sohn überleben im Versteck bei einem polnischen Bauern.

Nach dem Krieg ist Wulf Mitarbeiter der Zentralen Jüdischen Historischen Kommission in Polen. Ab 1947 lebt er für kurze Zeit in Paris, wo er das Centre pour l’Histoire des Juifs Polonais (Zentrum für die Geschichte der polnischen Juden) mitbegründet. Außerdem lernt er dort Léon Poliakov kennen, mit dem er später mehrere Bücher veröffentlicht.

Von 1955 bis zu seinem Suizid 1974 lebt Joseph Wulf in Berlin. Er beschäftigt sich mit der Geschichte des Holocaust und der Kultur des ausgelöschten polnischen Judentums. In seinen Veröffentlichungen dokumentiert er vor allem deutsche Quellen: Sein Ziel ist es, die deutsche Gesellschaft über die Verbrechen aufzuklären. Die Nennung der Namen der Verantwortlichen durch Wulf trifft in der Nachkriegsgesellschaft auf großen Widerstand.

Zudem bemüht er sich erfolglos im Haus der Wannsee-Konferenz ein Forschungsinstitut zum Nationalsozialismus und seinen Folgen zu gründen. Dort berieten am 20. Januar 1942 Vertreter von Polizei und Ministerialbeamte über die sogenannte Endlösung, d.h. den Judenmord. Erst lange nach Wulfs Tod wird dort 1992 eine Gedenkstätte, deren Bibliothek seinen Namen trägt, eröffnet.