Fortbildungsreise nach Minsk, 14. bis 18. Oktober 2018

  • Erinnerungspolitische Bildungsarbeit
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Auf Initiative der Geschichtswerkstatt „Leonid Lewin“ Minsk (https://ibb-d.de/erinnern/geschichtswerkstatt-minsk-2/) und finanziert durch das EU-Projekt MOST (https://most-belarus.eu/en/) hatten vier feste und freie Mitarbeiterinnen der Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz die Möglichkeit, an einer fünftägigen Bildungsreise nach Belarus teilzunehmen. Auf dem Programm standen Besuche einer ganzen Reihe von Museen, Ausstellungen, Denkmälern und historischen Orten sowie Gespräche mit Expertinnen und Experten sowie einem Zeitzeugen.

Sonntag, 14.10.2018

Da unser Flugzeug in Berlin-Schönefeld mit großer Verspätung gestartet war, erreichten wir die Geschichtswerkstatt erst gegen 19:30 Uhr. Dort erwarteten uns die Historiker*innen der IBB Iryna Kashtalian (die das Programm für uns zusammengestellt hatte), Alexsander Dalhouski (der uns mit großer Sachkenntnis durch die kommenden Tage begleiten sollte) und Kuzma Kozak (der uns durch das ehemalige Ghetto-Gelände führte) sowie die Freiwilligendienstleistende Alina Golas. Nach einer kurzen Vorstellung der Institution IBB, ihren Aufgaben und den pädagogischen Angeboten der Geschichtswerkstatt machten wir uns in der Dunkelheit auf den Weg durch das ehemalige Ghetto. Kuzma Kozak zeigte uns dabei die heute noch existierenden Gebäude aus dieser Zeit, die weiterhin – ohne Kennzeichnung ihrer Geschichte – in Benutzung sind. Die Führung endete an der Grube („Jama“), in der während des Bestehens des Ghettos mehrere tausend Bewohner erschossen worden waren.

Die Nationalbibliothek von Belarus

Montag, 15.10.2018

Am Vormittag besuchten wir mit Alexander Dalhouski die Wanderausstellung „Vernichtungsort Malyj Trostenez. Geschichte und Erinnerung“, die zurzeit in der Nationalbibliothek zu sehen ist. Als einer der Kuratoren dieser Ausstellung konnte Alexander uns nicht nur Inhalte vermitteln, sondern auch über die Entstehung und die Zusammenarbeit mit den deutschen Kolleginnen von der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas berichten, sodass wir intensiv über verschiedene Geschichtsbilder und Erinnerungsformen diskutieren konnten.

Russisch-orthodoxe Kirche Allerheiligen

Anschließend fuhren wir zur russisch-orthodoxen Kirche Allerheiligen und trafen dort den Kriegsgefangenen-Experten Anatolij Sharkov, der uns auch in die Krypta führte, wo Erde und Asche von verschiedenen Schlachtfeldern und Orten von Katastrophen und Anschlägen zur Erinnerung und Mahnung gesammelt werden.

Kirche Allerheiligen – Glasbehälter mit Erde und sterblichen Überresten in der Krypta
Barys Popov, ehemaliger sowjetischer Kriegsgefangener und Zwangsarbeiter – einer unserer Gesprächspartner in Belarus – mit Valerie Engler, unser Übersetzerin

Am Nachmittag veranstalteten drei Teilnehmer*innen der Fortbildungsreise nach Berlin vom Vorjahr für uns eine ausführliche Stadtführung durch das Zentrum von Minsk.

Dienstag, 16.10.2018

Morgens trafen wir uns in der Geschichtswerkstatt mit Barys Popov, einem ehemaligen sowjetischen Kriegsgefangenen. Er berichtete uns von seiner Haftzeit in Minsk und in verschiedenen deutschen Lagern sowie von seinem Leben nach der Rückkehr in die Sowjetunion. Das Gespräch haben wir mit einer Kamera aufgezeichnet, um es in unserer geplanten Online-Ausstellung zu sowjetischen Kriegsgefangenen verwenden zu können – mehr zu diesem Projekt demnächst hier im Blog!

Anschließend haben wir die Gelegenheit genutzt, noch einmal Fotos rund um die Geschichtswerkstatt zu machen, was am ersten Abend aufgrund der Dunkelheit nicht möglich war.

Dann fuhren wir zum Museum des Großen Vaterländischen Krieges, wo wir uns insbesondere die Stationen zu Malyj Trostenez und anderen Mordstätten der deutschen Besatzer sowie die Informationen zu Kriegsgefangenenlagern anschauten.

Anschließend besuchten wir den Gedenkfriedhof für die Opfer des Stalag 352 bei Masjukowschtschina, wo auch Barys Popov zeitweise interniert war, sowie den Gedenkort Kuropaty. Dort wurden zwischen 1937 und 1941 viele tausend Menschen (die genaue Zahl ist ungeklärt) vom sowjetischen NKWD erschossen. Als wir ankamen, wurde dort gerade gegraben, weil ein offizieller Gedenkstein aufgestellt werden soll – die bisherigen Gedenkzeichen, vor allem einfache Holzkreuze, wurden von Aktivistinnen und Aktivisten aufgestellt.

Am Nachmittag erreichten wir Maly Trostenez und besuchten zuerst das Gelände des ehemaligen SD-Guts mit seinen verschiedenen Gedenkzeichen und Denkmälern. Dann fuhren wir an den Vernichtungsort Blagowschtschina, wo erst in diesem Sommer eine neue Gedenkanlage eingeweiht worden ist.

Gedenksteine westeuropäischer Städte auf dem ehemaligen jüdischen Friedhof; die Inschrift auf dem Stein aus Frankfurt am Main benennt als einzige deutlich die Täterschaft der Deutschen. Auf allen anderen ist nur von der Erinnerung an die Opfer die Rede.
Gedenksteine westeuropäischer Städte auf dem ehemaligen jüdischen Friedhof; die Inschrift auf dem Stein aus Frankfurt am Main benennt als einzige deutlich die Täterschaft der Deutschen. Auf allen anderen ist nur von der Erinnerung an die Opfer die Rede.
Stalag 352
Stalag 352
Kuropaty
Kuropaty
„Die Pforte der Erinnerung“
„Die Pforte der Erinnerung“
Blagowschtschina
Blagowschtschina

Mittwoch, 17.10.2018

Am Morgen machten wir uns auf den Weg nach Nowogrodek. Auf dem Weg dorthin hielten wir am Schloss Mir und schauten uns in der Ausstellung den Teil zur deutschen Besatzungszeit an. Nach den ersten Erschießungen wurde die verbleibende jüdische Bevölkerung des Ortes im Schloss eingesperrt und dann ebenfalls ermordet. Im Ort fand sich außerdem ein kleiner Obelisk in Erinnerung an 700 dort erschossene (jüdische) Bewohnerinnen und Bewohner. Die Gärten der beiden angrenzenden Häuser befinden sich auf dem Massengrab.

In Nowogrodek trafen wir Tamara Viarshytskaya, die sich seit Jahren für die Erinnerung an die jüdische Bevölkerung der Stadt, an das Ghetto, die gelungene Flucht durch einen Tunnel und die jüdische Partisanengruppe der Bielski-Brüder einsetzt. Wir besuchten mit ihr das Museum des jüdischen Widerstands und bekamen eine Stadtführung.

Gedenkzeichen für...
Gedenkzeichen für...
… die durch einen 250 Meter langen Tunnel aus dem Ghetto Geflohenen
… die durch einen 250 Meter langen Tunnel aus dem Ghetto Geflohenen

Donnerstag, 18.10.2018

Nach dem Frühstück mussten wir schon zum Flughafen – aber wir haben alle fest vor, den Kontakt mit gemeinsamen Projekten zu intensivieren und Minsk und die Kolleg*innen wieder zu besuchen! Die große Sachkenntnis und das große Engagement für eine gemeinsame Erinnerungskultur haben uns tief beeindruckt.